Heft 
(1885) 29
Seite
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Deutsche Noinan-Dibliothek.

von etwas ganz Anderem her. Aber glauben Sie mir, die Kirche thut es nicht, und unter allen Um­ständen läßt sich auf dem ihrem Szepter unter­stellten Gebiete jede Stunde gründlich und erfolgreich nachexerzieren. Nur bei der Kunst heißt es: ,Was Hänschen nicht lernte, lernt Hans nimmermehr', während es doch zum Fromm- und Christlichwerden eigentlich nie zu spät ist."

Und doch empfiehlt es sich, vor Thoresschluß damit anzufangen."

Alles lachte, nicht zum wenigsten der alte Graf, der in übermüthiger Laune fortfnhr:Vor Thores- fchluß sagen Sie, Feßler. Bah, in diesen heiligen Hallen, in denen man die Rache nicht kennt und kaum die Sünde, kann von ,vor Thoresschluß' überhaupt nie die Rede sein. Ja, Judith. Ein Gefühl, als ob in Deinem Salon tagaus tagein celebrirt werde, kann ich nie los werden, und daran ist neben Anderem die kleine Ambralampe schuld, der ich mich beständig versucht fühle das Lebenslicht auszublasen. Aber sie steht ja direkt unterm Schutz des Gundols- kirchen'fchen Spezialheiligen, und so bin ich mir nie sicher, ob ich sie nicht allen Ernstes als eine halbe ewige Lampe anzusehen habe."

Das Eintreten eines Dieners unterbrach ihn; Couverts wurden gelegt und Gläser gestellt, ohne daß im klebrigen die Plätze gewechselt worden wären. Auch eine Zeitung kam, und während Franziska mit dem Pater, Egon aber mit der Tante sprach, that der alte Graf einen Blick in das Wochenrepertoire.

Seh' ich recht, man hat den Zriny wieder her­vorgesucht, beiläufig nicht die schlechteste Wahl. Lt voita was awt8, die Helene Zriny. Aber wissen Sie, meine Gnädigste, daß ich Ihnen ernstlich zürne, mir gerade das verschwiegen zu haben, mir, Ihrem Verehrer und Freunde!"

Vielleicht aus Sorge."

Wie das?"

Ich bange mich vor der Nolle."

Dann freilich sind Sie verloren. Denn Sie werden dann das nicht treffen, was in dieser Rolle das Meiste bedeutet: das Nationale. Sich fürchten ist das Unungrischste von der Welt. Aber Sie werden sich nicht fürchten, und wenn Ihnen doch vielleicht ein paar Anwandlungen kommen, so wird der Elan Ihres Talents groß genug sein, Ihr Temperament zu zwingen und siegreich mit fortzureißen. O, daß Sie Magyarin wären!"

Ungefähr das Schmeichelhafteste, mein liebes Fräulein," unterbrach hier lächelnd die Gräfin,das Ihnen im Hause Petöfy gesagt werden kann. Denn mein Bruder erklärt Sie damit auf halbem Wege für würdig, eine Magyarin zu sein, er würde sonst die Thatfache, daß Sie's nicht sind, nicht so lebhaft be­klagen. Und dabei sind Sie muthmaßlich ohne jede Vorstellung von dem Vollgewicht einer solchen Ehren­bezeugung und kennen überhaupt nichts von Ungarn als den Attila unserer Husaren."

O doch, doch; das Fräulein kennt und weiß mehr, viel mehr, und sie soll uns selber sagen, was sie von Ungarn weiß."

Es ist nicht viel und Wohl eigentlich zuwenig, wenn ich bedenke, daß ich nun schon in's dritte Jahr

eine Wienerin bin, und außerdem hinzurechne, daß Wien, ich möchte sagen, die Vorhalle von Ungarn ist, die Tempelstufe."

Der Lignorianer, ein ausgesprochener Steyrer, freute sich des kleinen Spottes, und Egon kaum minder. Der alte Graf aber gab sich das Ansehen, als nähme er's ernsthaft und sagte:Vorhalle,

Tempelstufe; davon dürfen unsere Wiener nichts hören, die sich das Herz der Welt bedünken. Im Uebrigen schuldet uns das Fräulein immer noch ihren Bericht über Ungarn und ich kann ihr ein Lxamen iüZoro8uin aus diesen Punkt hin nicht ersparen, schon weil ich Recht behalten möchte."

Nun, ich gebe gern, was ich weiß," entgegnete das Fräulein,und unterscheide deutlich zwei Grade der Erkenntnis;: einen romantischen und einen lyri­schen. Das sind freilich keine rechten Unterscheidungen, denn die Romantik kann lyrisch und die Lyrik kann romantisch sein; aber ich bitte nichtsdestoweniger, es gelten Zu lassen."

O gewiß," sagte die Gräfin.Also das Ro­mantische."

Ja, damit fing eS an. Es war, als ich noch ein Kind war und aus unseren: Kirchplatze, gerade vor unserer Thür, alljährlich zweimal die Jahrmarkts­buden standen: Buden mit Naschwerk und Pfeffer­kuchen und dazwischen allerlei Bänkelsänger und Leier­männer. Und immer wo solch' ein Leiermann stand, stand auch eine buntbemalte Leinwand, auf der eine Geschichte, meist in zwölf Bilderfeldern, abgebildet war. Auf dem ersten Bilde lag die Welt allemal in bürgerlichem Frieden, und eine junge Mutter beugte sich über ein Wiegenkind; auf einem der Mittelbilder trat dann in gebotener dramatischer Steigerung ein schwarzer, bärtiger Mann aus einem Waldesdnnkel hervor und an die junge, zufällig des Weges kommende Mutter heran, während auf dem zwölften und letzten Bilde Mal für Mal ein Gerüst aufgeschlagen war mit einem niedrigen Stuhl darauf, und auf eben diesem Stuhle saß der bärtige Mann aus dem Waldesdunkel. Aber jetzt mit verbundenen Augen und einem Rothmantel mit den: Schwerte hinter sich. Und wenn ich dann dem Liede, das dazu gesungen wurde, begierig uud angstvoll zuhörte, so vernahm ich jedesmal, das sei geschehen im schönen Uugarlande zwischen Stuhlweißeuburg und Debreczin, und ich darf wohl sagen, ich kenne bis diese Stunde keine Stadt und keinen Namen, die nur so mit Schreck und Grusel imprägnirt erschienen, wie diese beiden."

Ei, das beklag' ich, meine Gnädigste," sagte der Graf.Da wird unser altes Schloß Arpa darauf verzichten müssen, Sie je in seinen Mauern zu sehen, denn Stuhlweißenbnrg ist unsere nächste große Stadt."

O, ich Hab' es auch überwunden. Und Ungarn selbst hat es mich überwinden gelehrt."

Mit Hülfe der zweiten Epoche?"

Ja, die gnädigste Gräfin errathen es; mit Hülfe der zweiten Epoche. Da war ich in einer Pension. Aber ich war schon fast erwachsen und in Vorbereitung auf das, was aus mir werden sollte. Da hatten wir von Zeit zu Zeit auch Deklamir- übnngeu, und bei solcher Gelegenheit war es, daß