Issue 
(1885) 29
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Graf Petöfy von Theodor Fontane.

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eine Mitschülerin von mir ein Lied von Lenau vortrug."

Ah, von Niembsch!"

Ich kannte Lenau schon. Er ist überhaupt sehr beliebt in Norddeutschland, und den ,Teich, den regungslosen', in den der Mond seine gleichen Rosen' flicht, kennt jedes dreizehnjährige Mädchen und jubelt in ihrem kleinen Herzen, wenn die berühmte Stelle von dem ,süßen Dein gedenken' kommt, am meisten aber, wenn sie zum Schluß erfährt, daß dieß süße Dein Gedenken zugleich auch ein »stilles Nachtgebet' gewesen sei."

Feßler lächelte vor sich hin, und auch die Gräfin, die nach Art aller vornehmen alten Damen eine Vorliebe für kleine Gewagtheiten hatte, war ganz enchantirt und nickte dem Bruder zu.

Wohl, ich kannt' ihn also," nahm Franziska wieder das Wort.Aber speziell das Gedicht, das an jenem Tage deklamirt wurde, das kannt' ich nicht, und als es zu Ende war, war ich so hingerissen, daß ich auf die Mitschülerin zustürzte und sie um­armte und küßte, was mir beiläufig einen nach­träglichen Verweis zuzog."

Und wie hieß es?"

Ich weiß es nicht mehr sicher, aber ich glaube fast, es hieß »Nach Süden'. Und vielleicht erkennen Sie's, wenn ich Ihnen den Inhalt in aller Kürze skizzire."

Wir bitten darum."

Es leitet sich mit einer Gewitterschilderung ein und die halb schon wieder von Licht dnrchglühten Wolken ziehen südwärts auf Ungarn zu. Der Dichter selbst aber folgt dem Zuge dieser Wolken und be­gleitet ihr Südwärtsziehen mit dem sehnsuchtsvollen Ausrufe: ,Ja, nach Süden steht mein Herz!'"

Und nun?"

Und nun, auf dem dunklen Hintergründe der Wolken erwächst ihm fatamorganaartig ein Heimats­bild: ein Waldthal und ein Mühlbach, und an dem rauschenden Mühlbach erblickt er die Geliebte, die, sein eigenes Sehnsuchtsgefühl erwiedernd, in Ver­langen nach ihm aussieht und Wind und Wellen um ihn befragt. Aber Wind und Wellen ziehen weiter und weigern ihr Antwort, und das Lied selbst verklingt in der wunderbaren Strophe:

»Dunkler wird der Tag und trüber,

Lauter wird der Lüfte Streit,

Hörbar rauscht die Zeit vorüber An des Mädchens Einsamkeit.'"

Ah, das ist schön," sagte der alte Graf,und ich klage mich an, es nicht gekannt zn haben. Er war ein Freund unseres Hauses und speziell das enkant gäte meiner Mutter, die sich, wenn das Ge­spräch auf ihn kam, jedesmal ihres ganzen Albion- stolzes entschlug, womit sie sonst stärker, allerdings auch berechtigter als Lady Milfort umgürtet war und nicht müde wurde, zn versichern, »daß sie die ganze großbritannische Lyrik um eines einzigen Lenau'schen Gedichtes willen hingebe'. Ja, Feßler, das war unser altes Wien, an das ich doch oft mit herzlicher Freude zurückdenke. Da wurde noch Vieles verziehen, was jetzt unverzeihlich dünkt, und beispiels­weise mit dem lieben Gott auf dem Kriegsfuß zu

stehen, galt noch einfach für interessant. Auch unser guter Lenau verstand sich darauf, aber es war au koaä nicht böse gemeint, und aller atheistischen Nodo- montaden unerachtet spukte doch eigentlich das Kirch­liche darin vor. Er kam nur nicht voll damit zu­recht und starb zu früh. Und zudem der verdammte Poetenehrgeiz! Unter allen Umständen aber find wir ihm zu Dank verpflichtet, uns das auf dem Wege zwischen Stuhlweißenburg und Debreczin fast schon verloren gegangene Herz unserer lieben Freundin in einer zweiten ungrischen Epoche zurückerobert zu haben. In einer zweiten ungrischen Epoche, nach der wir hoffentlich sehr bald eine noch schönere dritte Zu verzeichnen haben werden."

Ich glaube, daß sie für mich bereits begonnen hat."

Eine kleine Stntzuhr schlug eben Zehn und die junge Schauspielerin erhob sich. Egon bat, sie be­gleiten zu dürfen. Sie nahm das Anerbieten an ganz nach Art einer Dame, die solcher Huldigungen und Dienste gewöhnt ist, und verabschiedete sich, wie sie gekommen, mit einem Handkuß bei der Gräfin, während sie sich gegen Feßler verneigte.

Der alte Graf aber geleitete sie bis in das Vor­zimmer und half ihr hier sich in ein Spitzentuch hüllen, das sie kleidsam um Kopf und Hals trug. Dann in den Salon der Schwester zurückkehrend, ließ er sich in einen Fauteuil in aller Bequemlichkeit nieder und sagte:Nun, Judith, wie findest Du sie?"

Charmant."

Und?"

Und pointirt."

Und?"

Ich weiß nichts weiter zu sagen. Aber fragen wir Feßler."

Und klug," fügte dieser hinzu, während er wie zerstreut mit einer an der Tischdecke herabhängenden Seidenpuschel spielte.Wir werden allerhand von ihr lernen können."

Lernen! Ein Liguorianerpater und lernen! Und da spricht man noch von dem Hochmnth der Kirche!"

Es hatte mittlerweile geschneit, und ein paar Hausdiener fegten eben den Schnee beiseite. Egon reichte Franziska den Arm, war aber ersichtlich in Verlegenheit, wie das Gespräch beginnen, und so hatten sie dem: schon den Vorhof und das Gitter pasfirt, als er endlich das Wort nahm.

Ein trübseliges Wetter," begann er.Nun wieder Schnee. Der Wind dreht sich in Einem fort. Ich mache mir nichts aus dem Winter."

O, da denk' ich doch anders. Ich liebe den Winter, nur muß er wirklich ein Winter sein. Es ist damit wie mit den Menschen: auf Beständigkeit kommt es an. Mit einem launenhaften Winter, der heute so ist und morgen so, mit den: ist nichts an­zufangen, aber ein echter und zuverlässiger Winter, der sich einrichtet, als woll' er nie wieder gehen, der ist schön, wie der schönste Sommer. Doch das wissen sie hier nicht. Einen Schneesturm haben sie wohl, aber die stille, feste Kälte, die Brücken baut und trägt und hält, die fehlt ihnen."