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Deutsche Roman-Bibliothek.
ja Recht, gehört zu einem Grafen eine Gräfin; wer wollte das bestreiten? Aber wenn es keine Gräfin fein kann, fo kommt nach der Gräfin gleich die Schauspielerin, weil sie, Dir darf ich das sagen, der Gräfin am nächsten steht. Denn worauf kommt es in der sogenannten Oberschicht an? Doch immer nur daraus, daß man eine Schleppe tragen und einen Handschuh mit einigem Chik aus- und anziehen kann. Und sieh', das gerade lernen wir aus dem Grunde. So Vieles im Leben ist ohnehin nur Komödienspiel, und wer dieß Spiel mit all' seinen großen und kleinen Künsten schon von Metier wegen kennt, der hat einen Pas vor den Anderen voraus und überträgt es leicht von der Bühne her in's Leben."
„Ich will es gelten lassen, Fränzl. Aber dann bleibt immer noch alt und jung."
„Hältst Du das für so schlimm?"
„Nein. Oder wenigstens nicht immer. Ich könnt' es. Aber man muß seiner sicher sein."
„Ich glaube, meiner sicher zu sein. Und über diesen Punkt, über den ich jetzt so viel hören muß, auch von Dir, muß ich Dir 'mal ein ernstes Wort sagen. Aber Du mußt auch aufmerksam sein. Denn ich weiß wohl, wenn Dir etwas nicht paßt, so hast Du Wachs in den Ohren und antwortest, ohne gehört Zu haben."
„Sprich nur; ich höre schon."
„Ob ich meiner sicher sei! Ja, liebe Hannah, wer ist schließlich seiner sicher, ganz sicher? Aber sicher oder nicht, Du darfst mir nicht immer mit Betrachtungen und einer Angst und Sorge kommen, als ob ich Sechzehn wäre, mit anderen Worten also, Du darfst nicht sprechen, gerade Du nicht, als ob ich wenn nicht direkt in Passionen steckte, so sie doch jeden Tag zu gewärtigen hätte. Du mußt schließlich am besten wissen, wie's steht. Oder müßtest es wenigstens wissen. Ein- für allemal also, ich habe keine großen Passionen, ganz gewiß nicht, und wenn ich sie vor Jahr und Tag vielleicht hatte — vielleicht sag' ich, denn ich habe nicht Lust und Muth, jedes Bagatellgefühl für eine große Passion auszugeben — so liegen sie hinter mir."
„Du mußt Dich nicht so Hineinreden, Franziska; das zeigt nnr, daß ich doch vielleicht Recht habe. Wenn aber auch nicht, denn wer sieht in's Herz, so Hab' ich doch in dem Einen Recht, um das sich's hier überhaupt nur handelt. Es ist etwas mit dem Jung und Alt, und dabei bleibt es. Und nun gar in der Ehe."
„Gewiß ist es 'was damit. Aber aus einem ganz andern Grunde, wie Du glaubst."
„Und der wäre?"
„Weil die Jahre, wenn sie doppelt und dreifach auftreten, auch das Maß der Unfreiheit verdoppeln und verdreifachen, jener Unfreiheit, in die man sich ohnehin in jeder Ehe begibt. Und d a liegt es. Nur da. Früher, als ich noch in meines Vaters Hause war, Hab' ich viele Traureden mit angehört, und immer war es dasselbe Thema: ,Begrabt euer eigen Ich? Immer Unterordnung, immer Opfer um des Andern willen. Davor, meine liebe Hannah, erschreck' ich. Zu dem Grafen könnt' ich in diesem Sinn nicht sprechen und sprach ihm deßhalb von Krän
kungen und Nadelstichen, die meiner vielleicht harren würden und gewiß auch harren werden, aber der eigentliche Grund ist doch der, den ich Dir eben genannt habe, die Freiheitsfrage. Jetzt beherrsch' ich ihn. Ob ich ihn als Gräfin auch noch beherrschen werde, dünkt mir Zweifelhaft, ohne daß ich deßhalb an einen Oger oder Blaubart denke. Durchaus nicht. Er ist innerlich viel zu sein und vornehm und nebenher auch viel zu sehr von mir eingenommen, um jemals den launenhaften Tyrannen zu spielen; er wird mir immer zuliebe leben und meine Wünsche belauschen und erfüllen. Aber je mehr er das thut, je weniger frei werd' ich sein und mich auch meinerseits schicken müssen. Ich weiß wohl, daß man daS soll. Aber ob ich's auch immer können werde? Nimm eine Kleinigkeit. Du weißt, ich liebe Nelken, und hätt' ich mir nicht eben erst all' und jede Passion abgesprochen, so hält' ich nicht übel Lust, mir eine regelrechte Nelkenpassion znzuschreiben. Und nun stelle Dir vor, daß er vielleicht Nelken nicht leiden oder wenigstens den Geruch davon nicht ertragen kann. Was würde geschehen? Ich würde natürlich sofort auf meine Liebliugsblume verzichten, aber doch zugleich auch den Wunsch und das Verlangen darnach nie mehr los werden. Und so könnt' es sich ereignen, daß. ich aus Sehnsucht nach einer Blume krank und unglücklich würde. Lache nicht, solche Thorheiten kommen vor. Alles in Allem, ich bin zu lange meinen eigenen Weg gegangen; Unterordnung und Ehe sind immer schwer, aber sie werden schwerer, wenn zu der eheherrlichen Autorität auch noch die der Jahre kommt."
„Und warum willst Du's, wenn Du so denkst? Warum thust Dn's?"
„Weil unser Herz ein komplizirtes Ding ist, ein Ding mit vielen und oft widerstreitenden Wünschen, und weil die Freiheit, so hoch ich sie stelle, doch schließlich nicht Alles in der Welt bedeutet. Es gibt eben auch Anderes noch, Dinge, die gelegentlich noch mehr bedeuten oder wenigstens bedeuten können."
„Ja, bei gewöhnlichen Leuten."
„Auch bei sehr nicht-gewöhnlichen. Umgekehrt; je höher hinaus, je mehr Hab' ich Recht. Oder glaubst Du beispielsweise, daß es leicht sei, der Freund eines Prinzen oder Erzherzogs zu sein? Du schüttelst den Kopf. Nun gut, also nicht leicht. Und nur: sieh' Dir den Grasen Pejevics an, den Du ja kennst und gern hast und der mir ganz wundervoll hieher paßt, wie gerufen. Wie steht es nun mit dem Grasen? Er ist ein großer Magnatensohn, einer der Allerreichsten und Vornehmsten, also natürlich auch der Freiesten, und wenn er aus seine Güter geht, so küßt ihm Alles den Nockschoß und, wenn er will, auch die Steigbügel. Und doch ist er hier und spielt den Erzherzogsadjutanten und Galopin. Und warum das Alles? Einfach, weil die Abhängigkeit von einem Erzherzog ihm schließlich doch noch mehr bedeutet als seine ganze Magnatenfreiheit, Rockschoß- und Steigbügelkuß mit eingeschlossen. Und ähnlich ergeht es mir. Offen gestanden, ich hätt' es vor Kurzem noch nicht gedacht und mich anders taxirt. Aber tritt erst 'mal die Versuchung an uns heran, so merken wir bald, daß wir nicht anders sind als Andere; die Weltlust reißt uns Hin und nicht zum