Heft 
(1885) 32
Seite
755
Einzelbild herunterladen

Graf Petöfy von Theodor Fontane.

755

ganz die Dame des vorigen Jahrhunderts, obschon sie dem unsrigen angehört und sich sogar den Tag von Austerlitz als ihren Geburtstag ausersehen hat. Bei­läufig die wenigst patriotische That ihres Lebens."

Franziska hatte den Brief genommen, augen­scheinlich in der Absicht, ihn auf ihrem Zimmer in aller Muße zu lesen. Aber Petöfy war andern Sinnes und fuhr fort:Ich bin neugierig zu hören, was sie Dir schreibt. Es werden keine Staats­geheimnisse sein, überflieg' es also und laß mich wissen, was ich wissen darf. Nur die Ueberschrift möcht' ich mit eigenen Augen sehen . . . ,Liebe Gräfin ...' Ah, das ist gut; und nun lies."

Franziska nahm den Brief zurück und las:

Ich bin noch altmodisch genug, meine liebe Franziska, Briefe durch Einlage zu schicken; irr meiner Jugend that man dieß oft und gern, jetzt lächelt man darüber. Jede neue Zeit dünkt sich eben klüger als die vorausgegangene. So war es von jeher, und ich entsinne mich, über Vieles gelacht zu haben, was meine Mutter, trotzdem sie doch manches Freiere von England her mit herüber gebracht hatte, noch als einen Gegenstand von besonderer Wichtigkeit ansah."

Alltagsbetrachtung!" unterbrach der Gras.Aber laß uns weiter hören."

Ich freue mich, daß Dein Leben auf Schloß Arpa Dich so glücklich macht, und find' es klug, daß Du das Ungrische so gleichsam von verschiedenen Seiten her in Angriff nimmst. Aber wenn Du den Rath einer alten Frau nicht verschmähst, so gehe darin nicht zu weit. Es wird das Klügste für Dich sein, deutsch zu bleiben und das Ungrische nur so weit gelten zu lassen, soweit es gelten muß. Alles, was in Deinem neuen Leben an Dich herantritt, mußt Du freundlich ansehen und ein Wort der An­erkennung dafür haben, auch selbst gegen besseres Wissen, aber Du darfst nicht selbst ungrisch sein oder werden wollen. Es wird Einem ein solches Opfer in den seltensten Fällen gedankt. Und kann auch kaum. Denn so gewiß ein Sichselbstvergessen unser Schönstes ist, so geziemt sich dieß Selbst­vergessen doch immer nur im Sinn und Dienste des christlichen Ideals. Wir sollen unser Ich opfern um der erlösenden Liebe willen, das ist etwas Großes, aber wir sollen uns, unser Volk und unsere Sprache nicht aufgeben, bloß um einer andern in gleicher Selbstsucht und Selbstgerechtigkeit befangenen Natio­nalität willen."

Und doch hat sie's gethan. Aber fahre fort."

All' das ist weder nach Gottes Gebot, noch nach dem Gesetz der Klugheit, und ich lebe der Ueber- zeugung, daß der Herr Curatus von Szegenihaza diese meine Meinung theilen wird. Wär' es anders, so wär' er mehr ungrisch als christlich, was ich nach dem Bilde, das ich in früherer Zeit von ihm em­pfangen habe, nicht glaube. Der Unglücksfall auf dem See hat mich tief erschüttert, am meisten aber, daß die Gegenwart des Allerheiligsten das Unglück nicht abwenden konnte. Vielleicht daß um Eines Schuld und Missethat willen so viel Unschuldige den Tod miterleiden mußten."

Judith hat eine Neigung," warf hier der Graf ein,an den einfachsten Erklärungen vorüberzugehen und immer nach wenigstens einem Geheimniß zu suchen, wenn es ein Wunder nicht sein kann. Das Fährboot kenterte, weil es überladen und der Fähr­mann betrunken war. 0'68t tont. Aber laß mich auch den Schluß hören."

Durch Graf Adam wirst Du, noch ehe Du diese Zeilen liest, von unserer Absicht eines kurzen Herbstaufenthalts auf Schloß Arpa vernommen haben. Wenn ich sage von .unserer Absicht', so heißt das, Egon begleitet mich. Er wünscht an den Wolfs­jagden theilzunehmen, die der alte Graf Pejevics in der Umgegend von Schloß Falcavar und auf seinen Gütern überhaupt abzuhalten gedenkt. Auch der junge Graf, den Du ja kennst, wird, wenn er Urlaub erhält, bei den Jagden zugegen fein. Ich freue mich sehr auf diesen Aufenthalt, den ersten wieder seit nun gerade zehn Jahren. Wohl ist es wahr, die Stätten unserer Jugend bleiben uns allezeit theuer und wir hängen daran mit der Kraft einer ersten Liebe.

Sage dem Pfarrer meinen Gruß, ebenso dem alten Toldy. Sowie der Regen nachläßt, den wir hier unausgesetzt seit fast zwei Wochen gehabt haben, brechen wir auf. Ein Telegramm meldet euch zuvor noch Bestimmtes und wenn nicht die Stunde, so doch den Tag unserer Ankunft. In herzlicher Ergebenheit Deine

Judith v. Gundolskirchen, geb. Gräfin Petöfy."

Franziska legte den Brief aus der Hand und sagte:Wie liebenswürdig! Und am liebenswürdig­sten da, wo sie mich tadelt. Ich glaube, daß sie Recht hat und daß es in der That eine Gefahr in sich birgt, sich irgendwo gewaltsam einbürgern zu wollen. Ich muß Alles mehr abwarten lernen. Das aber überrascht mich doch, und Du selbst, Petöfy, schienst etwas derart andeuten zu wollen, die Gräfin, Deine Schwester, so wenig ungrisch zu sehen, trotz­dem sie doch ihrer ungrischen Jugendtage mit Vor­liebe zu gedenken scheint. Ist sie deutsch geworden ihrem deutschen Eheherrn oder einfach ihrem deutschen Namen zuliebe?"

Weder das Eine noch das Andere. Kirchliche Leute haben eben die Kirche. Die bedeutet ihnen Heimat und Vaterland und nur die. Die Natio­nalitäten sind ihnen nichts und empfangen ihre Schätzung erst aus der Frage, wie weit sie der Kirche dienen oder nicht. Uebrigens ist Judith nach Art aller Langsamen und Schwerfälligen auch rascher Entschlüsse, ja vollkommener Ueberhastungen fähig, und da wir, wie der Augenschein, Gott sei Dank, zeigt, seit sechs Stunden ein anderes Wetter haben, so können wir sie nach sechsmal sechs Stunden er­warten. Ich werde mich also von heut an in Papier Fayard wickeln und mit meinem Rest von Hüftweh wenigstens so weit aufzuräumen suchen, um die Häuser Gundolskirchen und Asperg auf gut ungrisch empfangen zu können."

(Fortsetzung folgt.)