Heft 
(1885) 32
Seite
757
Einzelbild herunterladen

Die Erbtante von Johannes van Aervatt.

757

selben, die ich zuerst nicht herausfand. Nun mache ich mir Vorwürfe, ihn ungerecht benrtheilt zu haben, und dennoch warnt mich eine innere Stimme. Sahst Du nicht heute?"

Verzeih', aber ich bitte Dich sei nicht zart­fühlender, Lisel, als Du mußt, denke an die Ver­gangenheit und laß Dich nicht blenden, welcher Mensch hätte nicht zum mindesten eine gute Seite!"

Deren weiß ich Zwei bis jetzt: den Onkel Leo­pold und den ehemaligen Diplomaten."

Du bist nicht ganz gerecht; der Onkel hat eine brave Tochter und der Vetter Egbert einen Orden; außerdem macht der Gute einen bemerkbaren Ansatz, mir die Cour zu schneiden."

O scherze nicht, mir ist gar nicht darnach zu Muthe."

Gut, ich will ernst bleiben, ganz ernst. Aber sage mir, entdecktest Du nicht auch sonst noch Manches, was Deinem guten Herzen Freude machte?"

Gewiß und ich danke dem Himmel dafür: der Lieutenant zum Beispiel ist ein braver, kerniger Mensch, auf den ist Verlaß. Ich habe ihm und Helene heute Abend deßhalb auch eine Freude gemacht, er wird wieder reiten können."

Das ist brav von Dir!"

Und' dann, Helene ich könnte das Mädchen lieb haben wie eine Schwester. Selbst Karola gewinne ich bessere Seiten ab. Dagegen ist mir Frida in hohem Maße unsympathisch."

Eine Null nur ein wenig albern obendrein."

Sie, der Onkel Leopold und Egbert sind mir gleich zuwider."

Bliebe noch der Doktor," hals Marie ein, als Elisabeth eine Pause machte.

Ueber diesen konnte ich mir ein Urtheil noch nicht bilden," versetzte sie ernst.

Desto fertiger scheint mir derselbe mit seinem Urtheil über Dich zu sein: er trumpfte die alte Tante wacker ab."

Das fand ich sehr in der Ordnung."

Ich auch. Und nach der Freundin mit dem blauen Kleide erkundigte er sich mit einer sehr auf­fallenden Hartnäckigkeit ein so ernster Mann wie er hm! hm!"

Sein Ernst gefällt mir und, aufrichtig gesagt, auch seine äußere Erscheinung."

Gottlob! Dann ist ja meine Sünde wohl nicht so groß!" rief Marie und klatschte in die Hände.

Welche Sünde von was sprichst Du?" fragte Elisabeth erstaunt.

Verzeih' mir, aber ich konnte seiner dringenden Bitte nicht länger widerstehen, ich gab ihm ein Versprechen."

Du?" fragte Elisabeth sich aufrichtend.

Geh', laß uns noch ein wenig durch die Stadt fahren. Es ist noch nicht zehn Uhr, da gibt's noch Wagen. Unterwegs erzähle ich Dir Alles, eine Beichte, Schatz."

Das klingt ja sehr mysteriös. Gut, fahren wir!"

-s-

Der Lieutenant schritt an des Doktors Seite die Straße hinab»

Eine seltsame alte Frau, unsere gemeinsame Tante," sprach der Letztere.

Ja, sehr seltsam!" bejahte Egon, welcher ein wenig zerstreut war, da er nur an seinen Pferde­handel dachte. In seiner Tasche brannte der Schein, er fühlte ihn ordentlich warm auf der Brust, ein Bon von zweitausend Pfund Sterling, sage vierzig­tausend Mark und darüber. Da sollte ein armer Lieutenant, der stets schwimmen muß, um nicht zu ertrinken, wohl nicht zerstreut sein, dazu die Passion für Pferde und Reiten!

Im Grunde übrigens wohl eine gutmüthige, nur ein wenig unzurechnungsfähige Person," fuhr der Doktor fort.

Ja anfangs mochte ich sie nicht leiden; sie schrieb sehr prätentiöse Briefe und pochte stark auf den Beutel, aber ihr Herz ist gut, wirklich sehr freundlich" er dachte an das Geld und an die Gelegenheit, die sie ihm verschafft hatte, Helene zu umarmenauch gar nicht nachtragend."

Wie sie heute das Stückchen Versöhnung spielte!

Leider glaube ich, wird die Mahnung zum Frieden nicht lange Vorhalten."

Auf Ehre! Das glaube ich selbst. Im Grunde ist es ein Skandal unter Verwandten, eine solche Narrheit. Anstatt zusammenzuhalten, feinden wir uns an."

Die alte Leier, Vetter, gleiche Pole stoßen sich ab."

Aber ich meine, wir sind so ungleich wie nur möglich."

In vielen Beziehungen ja, in anderen nicht. Vor Allem bedenke, daß man mit seinen nächsten Verwandten viel schärfer in's Gericht zu gehen pflegt, als mit Fremden."

Na, wir Beide wollen Frieden halten."

Von ganzem Herzen und hoffen, daß allmälig ein anderer Wind weht zwischen den beiden Häusern!

Uebrigens eine sehr charmante junge Dame, die Gesellschafterin der Tante. Es scheint, daß sie sie vollständig auf gleichem Fuße behandelt."

O! eine sehr gute Person und sehr hübsch," bestätigte Egon.Sie ist gewissermaßen das gute Prinzip, die Vermittlerin."

Des Doktors Gedanken sprangen schnell von der Gesellschafterin zu der Freundin im blauen Kleide über, deren Erscheinung einen so lebhaft und nach­haltigen Eindruck aus den ernsten Gelehrten gemacht hatte. Er wurde nun seinerseits einsylbig. Er dachte an das Versprechen Mariens, in nächster Zeit mit der Dame, welche er meinte, in's Theater zu kommen. Er hatte Jene nur einmal und flüchtig gesehen, aber es gibt Personen, welche einen solchen Zauber durch ihre ganze Erscheinung ausüben, daß Der, welcher von demselben betroffen wird, die Wir­kung nachempfindet.

Hier muß ich mich empfehlen," sprach Egon an der Ecke der Schloßstraße. Sie drückten sich die Hände und schieden. Eiligen Schrittes be­gab sich der Dragoner in den Klub, während der Doktor noch in die Hofkonditorei am Markte trat, eine Zeitung ergriff und las und eine Tasse Thee trank. Mittlerweile suchte Egon den Käufer seines Pferdes aus. Er hatte Glück, er fand denselben dein»