Heft 
(1885) 32
Seite
767
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Feuilleton.

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Senil

Ser Wädcheninarkt vonGüma in Siebenbürgen yeut und einst.

Von

Rudolf D e r g n e r.

Das Siebenbürger Land hat in der Literatur eine so häufige Vertretung gefunden, daß es sich nicht betlagen kann, wenn es auch sonst, und namentlich die deutsche Bevölkerung, gar viel zu klagen hat. Trotz dieser reichen Literatur ist die neue Darstellung von Land und Leuten in Siebenbürgen von Rudolf Bergner (Leipzig, Bruckner) eine höchst vollkommene Gabe durch die Fülle des Neuen und durch die Art und Weise, wie sie das Interesse für das Land zu wecken weiß. Unterhaltung und Belehrung verbinden sich in selten anziehender Weise, und das Buch ist so schön ausgestattet, daß cs in jeder Bibliothek einen Schmuck bilden wird. Wir lassen eine kleine Episode folgen.

*

Der herrlichste Punkt der westlichen Berge ist die Gaina. Zwei Stunden Ritt von Unter-Vidra kostet es, bevor man auf ihrem Gipfel anlangt. Bereits nach einer halben Stunde er­scheint der Aranyos mit dem traulichen Pfarrhaus und dessen Häusergruppe als ein Silberband mit Perle, und dann geht man ununterbrochen vorwärts, durch herrliche Buchenwälder, deren kühler Schatten und klares Wasser, von dem sich ein Theil in hohlen Baumstämmen sammelt, verführerisch locken, vorbei an Feldern und Wiesen, immer höher, bis man aus dem Wald hervortretend den kahlen Gipfel erblickt. Eine kümmerliche Vegetation ist hier vorhanden, in welche einige Sennhütten (Stindcn), bei denen Frauen und Mädchen im Sommer das Vieh hüten, hineingestellt sind. Diese Weiber sind echte Naturkinder, schön und ebenmäßig gebaut, gesundheits­strotzend, keusch, dazu unbändig wie die wilde Rose und scheu wie das Reh.

Jährlich einmal, am Fest der Apostel Petrus und Paulus, wird auf dem Kamm der Gaina ein Mädchenmarkt abgehalten.

Die Vorbereitung für diesen Tag dauert bei den Mädchen jahrelang, da sie ihre Mitgift mitnehmen müssen. Es wird somit unaufhörlich gesponnen, gewoben, genäht und gestickt; die Mutter, die Tante, die Großmutter und andere Frauen der Freundschaft legen jede aus ihrer eigenen Mitgift bei; dann wird Alles in zierlich geschnitzten oder mit Blumen bemalten Truhen verpackt und aus die schönsten Pferde der Familie geladen. Auch wählt man den schöneren Theil des Viehstandes, Bienenstöcke und Anderes aus, theils zur Mitgift des Mädchens, theils zur Schaustellung. Man versicherte mir scherzweise, daß die Motzen bei dieser Gelegenheit möglichst Vieles, zuweilen auch Fremdes, zur Schau tragen, um den Brautwerbern, xotitori, damit zu schmeicheln.

Oben auf der Gaina stellt sich dann jede Familie, die ein Mädchen zu vergeben hat, ihr eigenes Zelt auf, in dem die Mitgift ausgestellt wird und die Brautschauer von dem Vor­nehmsten der Familie erwartet werden.

Die Burschen kommen, von ihren Familien oder womöglich von vornehmen Gönnern begleitet, bringen das Beste, was sie haben, besonders einen schönen Gurt voll Silber und Gold mit, und nachdem sie sich eine Braut ausgewählt haben, findet die öffentliche Verlobung vor dem an der Gaina lebenden Einsiedler statt. Dann werden die schon im Voraus bestimmten Brautgeschenke gekauft, und das Ganze schließt mit Musik, Tanz und Gesang. Als Zeichen der Verlobung werden nicht Ringe, sondern gestickte Sacktücher, oraäinto, ausgetauscht, und die Verlobung heißt inereäi'utars, sich gegenseitig versichern, die Treue geloben.

Es kommt nun beinahe gar nicht vor, daß ein Mädchen auf diesem Markt mit ihrer Mitgift erschiene und nicht den ersehnten Bräutigam finden sollte, denn der ganze Markt ist eigentlich nichts weiter als ein allgemeines Stelldichein für solche Paare, deren Heirat schon beschlossen worden, und geht das Mädchen auf den Markt, so weiß es schon, daß es dort erwartet wird. Diejenigen Mädchen, die keinen Bräutigam

l e t o n.

haben, nehmen gewöhnlich ihre Mitgift nicht mit, haben kein Zelt und kommen überhaupt mehr als Zuschauerinnen auf den Markt; finden sie dennoch einen Bräutigam, so sind sie eben besonders glücklich gewesen.

Einst muß es jedoch anders gewesen sein. Heute kann nach der Anschauung des Motzen nur eine auf dem Kamm der Gaina stattgefundene Verlobung Glück bringen; die Sitte also, die noch immer so streng beobachtet wird, muß einen ver­nünftigen Ursprung haben.

Und was finden wir heute? Am frühen Morgen brechen wir von Unter-Vidra auf, jedoch nicht am Peter-Paultag, sondern an einem späteren Sonntag. Fällt nämlich Peter-Paul auf einen Sonntag oder in die erste Hälfte der Woche, so wird der Markt auf der Gaina am darauffolgenden Sonntag ab­gehalten, und fällt er in die zweite Hälfte der Woche, Sonntag über acht Tage, das heißt den zweitnächsten Sonntag. Ueber diesen Gebrauch sind sich selbst die Motzen nicht immer klar, denn ich habe Leute getroffen, welche mir mittheilten, daß am nächsten, andere, daß am darauffolgenden Sonntag Markt sei. Der Himmel hat kurz vor unserem Auszug zwei Stunden lang seine Schleusen geöffnet gehabt, und die Natur athmet eine belebende Frische. Uns selbst muß dieß doppelt angenehm sein, denn der Motze behauptet, zum Markttag auf der Gaina müsse es wenigstens eine Stunde tüchtig regnen. Heute ist mit der Gegend eine seltsame Veränderung vor sich gegangen. Nicht wie sonst können wir durch den schweigenden Wald in Gedanken versunken dahinziehen, heute scheint ein Geisterheer, scheinen vergangene Generationen aus ihrem Grabe hervor- Zusteigen, um die Welt in Aufruhr zu versetzen. Das ganze Gebirge ist belebt, aus allen Schluchten und Thälern klimmen die Menschen herauf, von allen Höhen und Bergen kommen sie herüber. Vor uns, neben uns, hinter uns ziehen Motzen und Motzinnen zu Fuß und zu Pferd. Alle haben die Feiertags­tracht angelegt, die hübschen Weiber die sauberen, glänzenden Hemden und die leuchtenden rothen Katrintzen. Wie stramm sie doch zu Pferd sitzen, welch' blühende Geschöpfe die jungen Mädchen sind! Die Männer tragen Harken und Rechen, welche sie verkaufen wollen, oder führen Fässer mit Wein. Hunderte steigen empor; überall, so weit wir sehen können, vermischen sich die weißen Hemden und die rothen Schürzen mit dem Grün des Waldes und der Gräser. Jetzt hallt ein Schuß herüber, ein zweiter fällt auf der Gaina, und zugleich bläst man das Alphorn! Bei solchen Tönen schrecken die kleinen, munteren Pferde Zusammen, dann klettern sie rüstig weiter. Die Gebirgsbevölkerung dünkt uns in Hellem Aufruhr begriffen. So muß es im Jahre 1848 gewesen sein, wo der Völkerfrühling auch hier erblühte, solche Bilder müssen in ihrer grandiosen Wildheit und Kraft auf der Balkanhalbinsel entstehen, wenn dort das rauhe Volk zum Kampf auszieht. Jetzt reiten wir zum Gipfel hinan, doch können wir es uns nicht versagen, beständig zurückzublicken. Unter uns sehen wir neue Schaaren und immer neue aus dem Waldesdunkel her­vortreten. Oft sind cs zwanzig, dreißig Menschen zu Pferd; Männer und Weiber; jene dort kommen von Neagra, diese hier von Vidra.

Unterhalb der Spitze, auf dem schon erwähnten, etwas ein­gebogenen Plateau wird der Markt abgehalten. 600 bis 800 Leute sind bereits versammelt, und beständig kommen neue Zuzügler heran. Hier steht ein Slovake, der mit bunten Tüchern handelt; als weitere Artikel bemerken wir Stiefeln, Harken, Töpfe, Teller Schweinebraten, Wurst, Brod, Schnaps, Wein, wieder Schnaps, wieder Wein. Auf der südlichen Seite, nach denn Gipfel zu, hat man die Pferde angebunden und zwar an kleinen, in der Erde steckenden Pflöcken, welche schon bei unseren früheren Besuchen aus der Gaina, bei denen wir keine menschliche Seele gefunden, unsere Aufmerksamkeit erregt. Diese Pflöcke sind zu dem erwähnten Zweck seit altersher in den Boden getrieben. Kaum zwei Stunden dauert der so­genannte Markt, dann hat man das Handelsgeschäft längst vergessen und sich dem Tanz gewidmet. Drei bis vier Musik­banden spielen auf und die Paare drehen sich im flüchtigen Neigen; die Leute aus Ungarn hier, die aus Siebenbürgen