Heft 
(1885) 35
Seite
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Deutsche Noman-Sibliothelr.

Tags ach, erlassen Sie mir das Einzelne fanden wir ihn mit Zerschmettertem Kopse, einige Wochen darauf begruben wir auch die Mutter.

Damals, Herr Oberst, habe ich Ihre Nation hassen lernen, und an den Gräbern meiner Eltern habe ich einen heiligen Racheschwur gethan gegen jenen Intendanten und gegen Alle, die ihm gleichen. Gebe Gott, daß ich dem Schurken niemals mehr begegne!

Ich würde in's Ausland gegangen sein wie meine Brüder, die nach England zurückkehrten und dort als Mechaniker Stellen in Privatfabriken fanden. Mir fehlten theils die Mittel zur Reise, theils hielt mich jener Nacheschwur zurück, jetzt schon Rußland zu verlassen. Meine Absicht war damals schon, in Militärdienste Zu treten, aber ohne Protektion konnte ich keinen Erfolg erwarten, und so trieb ich mich eine Zeitlang in Moskau ohne Beschäftigung und fast ohne alle Subsistenzmittel herum, angewiesen auf die Unterstützung meiner Landsleute, bei denen ich auch Ausnahme und Unterkunft fand.

Daß ich damals kein Verbrecher geworden, dankte ich nur unserer strengen Erziehung und, wenn Sie wollen, einer Art von Aberglauben, daß ich noch zu großen oder ungewöhnlichen Dingen bestimmt sei. Nicht wahr, höchst lächerlich, Herr Oberst, und doch kann auch ein Wahn von moralischer Wirkung sein. Damals erwartete ich das Glück vom Himmel herab und von einem Wunder, als wenn dieses Leben ein phantastisches Märchen sei. Vielleicht ist es ein Vorrecht der Jugend und des Elends, sich mit Träu­men zu trösten. Und mich hat jener Traum doch nicht ganz betrogen.

Eines Morgens befand ich mich im Hause eines meiner Landsleute, eines bekannten Fabrikanten in Lederwaaren der Mann brauchte mich hie und da zu seinen Korrespondenzen. Plötzlich hielt ein Wagen vor dem Hause, und gleich darauf trat ein ältlicher Herr in's Magazin. Auf den ersten Blick erkannte man den Landedelmann.

Er wünschte zwei Damensättel für seine Töchter, fand auch dergleichen nach seinem Begehr und schloß den Handel ab. Schon wandte er sich, um das Magazin zu verlassen, als er in der Thür wie nach- sinnend stehen blieb und wieder znrückkam.

,Sie sind ein Engländer, Herr Cockburn? sagte er. Kennen Sie vielleicht einen Ihrer Landsleute, der in: Stande wäre, im Englischen Unterricht zu geben? Meine Töchter wünschen den Unterricht in dieser Sprache sortznsetzen. Wenn Sie Jemand finden, der dazu befähigt ist, so schicken Sie ihn unverweilt Zu mir, damit ich ihn gleich mit auf das Land nehme?

Diese Worte klangen mir wie Musik.

Sofort trat ich vor und bot mich als Lehrer der englischen Sprache an, die ich selbstverständlich voll­kommen kenne. Der Herr sah mich mit einigem Mißtrauen an, als er indeß in englischer Sprache einige Fragen an mich gethan hatte, wie: wer ich wäre, wo ich wohne und so weiter, heftete er einen fragenden Blick aus den Hausherrn. Mein Lands­mann versäumte nicht, mich aus das Wärmste zu empfehlen als ausgezeichneten Kenner der eng­

lischen, französischen und deutschen Sprache, sowie der Musik, und als einen Charakter, für den er in moralischer Hinsicht gutstehcn könne. Diese Em­pfehlung schien den Herrn völlig zufrieden zu stellen, er fragte mich, wie viel ich Gehalt verlange, und als ich, eingedenk, daß mar: in Rußland nur das schätzt, was im höchsten Preise steht, tausend Rubel Bank- assignationen bestimmte, nickte er zum Zeichen seiner Einwilligung mit dem Kopfe, nahm eine Visitenkarte mit seiner Adresse heraus und befahl mir, den fol­genden Tag Zu ihm zu kommen, um sogleich mit ihm auf sein Landgut im Gouvernement Smolensk zu reisen.

Alles das war so schnell abgemacht, daß ich, als der Herr fort war, einige Minuten lang vor Erstaunen nicht zu mir kommen konnte und meinen raschen Schritt fast bereute.

Mister Cockburn beruhigte mich vollkommen und beglückwünschte mich, denn mein künftiger Prinzipal sei ein sehr reicher und ehrenwerther Gutsbesitzer, ihm seit Jahren wohlbekannt, und ich würde in der einen oder andern Weise gewiß mein Glück machen.

Wie im Traum ging ich davon; aber mein erster Gang war zu dem Grabe meiner Eltern, gleichsam um sie um Rath zu fragen und mir ihren Segen zu holen. Als ich zurückkam, war ich fest entschlossen, und so fand ich mich am andern Morgen mit meinem kleinen Mantelsack, der meine wenigen Hab­seligkeiten enthielt, im Palais des Herrn von Uschakoff auf der Miasnitzkaja ein."

Wie ein Donnerschlag traf mich dieß Wort Sher- wood's, so daß ich aufsprang und den jungen Mann am Arm faßte, aber ich ließ ihn gleich wieder los und trat in die Fensternische, um meine Bewegung zu verbergen. Sollte dieser Mensch etwa jener Dämon gewesen sein, der ein Familienglück Zerstörte? Un­möglich, ganz unmöglich! Ich mußte lachen, wenn ich diesen Ritter von der traurigen Gestalt vom Scheitel zu den Sohlen maß.

Nach einer Pause nahm ich wieder Platz.

Fahren Sie fort."

Sherwood war einigermaßen erstaunt über die Wirkung seiner Worte und begann von Neuem:

Sie können sich denken, Herr Oberst, wie mir zu Muthe war, als wir in gestrecktem Galopp ans Moskau fuhren. Noch vor wenigen Tagen am Verhungern, und jetzt schien nur die ganze Welt zu gehören. Es begann zu regnen und in der Ferne zog ein schweres Gewitter heraus, aber Donner und Sturm schienen mir nur die erhabene Musik meines neuen Frühlings.

Herr von Uschakoff, der in Moskau stark ge­zecht haben mochte, schlief fast ununterbrochen. Aber ich war nicht weniger im Rausch über die Wendung meines Geschicks, und die Zukunft lag vor mir wie in goldenem Nebelglanz. Die Gegend war eintönig unübersehbare Moräste und abgeholzte Wald­strecken, dann wieder braune Haiden, wo wir stumpf­sinnigen Hirten begegneten. Von Zeit zu Zeit trab­ten waidende Pferde an die Straße heran oder ein Rudel Schweine stob vor unserem Wagen davon. In den Lüften Zogen endlose Schwärme von Krähen zum Wald, und aus den Moorgründen der Ferne