Heft 
(1885) 38
Seite
890
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Deutsche Noman-Siötiothek.

stiel und Triefaugen". Der armen May dröhnten die kleinen rosigen Ohren von Ausdrücken wie Rabentöchter",Höllenrosen",Lotterbuben", es war eine ewige Aufregung, ein Anklagen, Hetzen und Lamentiren; Maiblümchen hatte in dem scheinbar idyllischen Waldwinkel keine leichte Stellung zwischen dem Trotz und der Pedanterie. Weder den vor­lauten Cousinen noch der keifenden, überstrengen Tante konnte die Zartfühlende in ihrem Herzen Recht geben. Dennoch war es mit der Zeit um ein Weniges besser geworden am häuslichen Herde der Rushtons; so zum Beispiel zankte man sich nicht mehr bei den Mahlzeiten, was dem schwachen, friedliebenden Haupt der Familie sonst ein Greuel gewesen war, so sehr er daslebhafte Temperament" seiner Kinder ent­schuldigte. Rnshton fühlte sich beglückt durch May's Anwesenheit, nannte sie denguten Engel" seiner Familie, diePerlmutterfee", weil ihre Haut so weiß und glatt war, und träumte für sie eine rosige, wunderbare Zukunft.

Paart sich Sanftmuth mit Heiterkeit, so wirkt sie unwiderstehlich und wird eine Macht, welcher sich die sprödesten und rohesten Herzen beugen.

Das Mädchenkleeblatt stand nun ballfertig vor dem gleichfalls herausgeputztenPa'", der seine Helle Freude hatte an dem Staat und namentlich an den schimmernden Farben der töchterlichen Kleider; May war nicht nach seinem Sinn, sondern, wie es ihm schien, zu einfach gekleidet.

Kinder," fragte er Winny und Polly,habt ihr denn weiter keine Schmucksachen? Eure Mutter selig hatte doch goldene Erbsenketten, Stirnbänder mit einem Amethyst oder Topas in der Mitte wo blieben nur ihre Ohrgehänge aus Lapislazuli?"

Liegt Alles wohlgeborgen in unserer Kommode," erwiederte Glorwina (Winny),aber zu meinem grünen Kleide passen heute nur Granateu."

Das sehe ich doch nicht ein," entgegnete der zärtliche Vater,Pretiosen trägt man, so viele man hat."

Ei, warum nicht gar!"

Natürlich! Dann bekommt ihr die meisten Tänzer, Alles stößt sich an und murmelt untereinander: ,Habt ihr Die gesehen?' Polly, mein Kind, bist recht artig zurechtgezupft, aber die heutigen Moden sind nicht nach meinem Gusto, denn seht ihr, als Papa Rnshton ein kleiner Schäker war und Menuet und Walzer tanzte, da trugen unsere Liebchen niedliche Porzellanblumen in den gepuderten Haaren und

Das muß ja gräßlich gewesen sein!" kreischten die Schwestern.

O, das sah vornehm aus, die Schmachtlocken, die Neigelöckchen, die Chignons! Ihr, meine Nymphen, scheint nur eben so aus dem Bade herzukommen. Und die Paniers unter den Kleidern, wie das den Stoff zur Geltung brachte! Seit der großen Kops­abschneiderei in Frankreich ist der Reifrock und Alles, was drum und dran hing, abgekommen. Na, zieht keine schiefen Mäulchen; ihr dagegen gleicht griechischen Jungfrauen, wie sie im Damenalmanach an Altären und auf Tempelstufen abgebildet sind. Meine Schwester," wendete er sich mit Humor an

Jungfer Anabell,verachtet die Moden, welche Ma­dame Josephine Buonaparte uns von drüben zuseudete. Bell bleibt den gebrannten, gepufften, getollten Gar­nierungen treu und änderte seit dreißig Jahren nichts am Schnitte ihrer Kleider."

Ich will keine Karikatur aus mir machen," sagte die stolze Tante mit einem mitleidigen Blick auf dieGriechinnen". Und noch etwas schärfer fügte sie hinzu:Uebrigens, Bruder, trägst Du Dich ja ebenfalls altvaterisch, um nicht zu sagen vor­sintflutlich."

Du meinst meine Frisur," sagte Rnshton mit Seelenruhe, auf sein lichtgrau gepudertes, inTauben­flügel" gerolltes Haar deutend,nun wohl, Schwester, dem Alter geziemt es, konservativ zu sein. Und nun vorwärts durch unfern grünen lieben Wald!"

Der zierliche alte Mann sah in seiner Rokoko­tracht, mit dem feinen, pfiffigen, glattrasirten Gesicht wie ein richtiger Zeitgenosse des de Fos und Fielding aus, wie Einer, der versessen ist auf römische und griechische Klassiker, gar nicht wie Einer, der an Heu- und Aepfelernten denkt, an Schafe und Rinder. Ein feiner Lavendelduft ging von ihm aus, während die Taschentücher der jungen Damen bereits mit- bouquet und anderen fashionablen Parfüms getauft waren.

Polly, noch etwas blaß von der Aufregung des vorhergehenden Abends und all' den Nothlügen, welche sie in ihrer Herzensangst hervorgestottert hatte, um ihr langes Ausbleiben zu entschuldigen und zu er­klären, Polly stolzirte in einem pomeranzenfarbenen Musselin-de-Laine-Kleide, worüber sie einen weißen Florshawl phantastisch, nicht ohne Geschmack drapirt hatte; denn zu jener Epoche dominirte der Shawl, das heißt, die Florecharpe; ohne dieses luftige Ge­webe kein Tanz, kein Harfenspiel, kein Stelldichein, kein Porträt. Jene griechischen Roben, auch Chemisen genannt, waren im strengen Sinne des Wortes Futterale für den Körper, den sie eng umschlossen, wodurch freilich die Formen sehr zu Geltung kamen. Um so perfider waren diese Moden der Josephine, der Königin Louise und der Madame Recamier für magere Hopfenstangen und verblühte Frauen.

Winny, obwohl tadellosen, fast imposanten Wuchses, hatte etwas zu dünne Arme und diesem Maugel wohlweislich durch kurze Puffärmel und weit hinaufreichende französische Handschuhe abgeholfen. Eine dunkelrothe Rose mit goldenen Blättern zierte die Empirefrisur; rothseidene, kreuzweis gebundene Schuhe vervollständigten diese effektvolle Toilette.

May trug ein über und über gesticktes weißes Kleid, weiße Schuhe und eine Blondenecharpe. Hals und Arme schmückten bescheiden blaßgraue, venetianische Atlaßperlen, welche sich zärtlich an die feine Haut des Mädchens schmiegten.

Den Ballgästen folgte eine stämmige Magd, mit breitkrämpigen Federhüten und Tüchern beladen, nach dem Jägerhause.

Und es war ein schöner, warmer, dufthauchender Mainachmittag. Die Blüten des Faulbaums und der wilden Akazie hatten die Waldwege wie mit Silber bestreut.

O du heimlicher Pfad, der dort links abbiegt!