Kinder der Flamme von Günther von Freiberg.
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Du führst in die Weiden und Erlen hinein! Wie klopft das süße, liebevolle Herz der weißgekleideten May! — Charlie vor so Vielen zu begegnen, — fremd mit ihm zu thun!
„May sieht aus wie eine Braut, eine richtige Braut," kicherte Winny, „es fehlt nur das Myrtenkrönlein. — Nicht roth werden, kleine Dame! Ei, ei, nur nicht verlegen thun."
May erzitterte angstvoll wie die erschreckte Chlos des Horaz, welche der Poet in seinen Oden dem kindlichen Reh vergleicht. — Ob Cousine Winny Verdacht geschöpft wegen etwaiger Abwesenheit der Verliebten? Die verschämte May fürchtete nichts so sehr, als ihr Herzensgeheimniß plump betastet und entweiht zu sehen. Zwar neckte Winny alle Welt, die Großen und Kleinen, Alten und Jungen.
„Polly, holla!" rief sie schon wieder im nächsten Augenblick, „Polly trippelt einher wie eine lange gelbe Lilie, welcher plötzlich ein paar großmächtige Füße gewachsen sind."
„Ach was," ärgerte sich Polly, deren grüne Schuhe wirklich etwas zu weit gerathen waren, „im Vergleich zu Deinen Elephantenpatten
„Kinder," rief Nushton dazwischen, „gebt Acht, ob ihr keinen Hirschkäfer seht."
Seit dreißig Jahren besaß der Pächter einen Käserkasten, den er mit Schmetterlingen und Insekten aller Art zu garniren trachtete, „sobald er einen freien Moment haben würde". Aber in dem betreffenden Moment schnitt er Silhouetten aus schwarzem Glanzpapier oder spielte die Flöte oder las den Peregrine Pickle. Im Walde wurde dann die Käferpassion wieder lebendig, und er hoffte von den Mädchen darin unterstützt zu werden und merkte nicht ihre souveräne Gleichgültigkeit für seine geplante „Sammlung".
„Laust nicht so unmäßig," ermahnte Dame Anabell in der amaranthfarbenen Kontusche; „es ist ja unanständig, dem Vergnügen, den jungen Männern so entgegenzustürzen."
Aber Polly war trotz des Feierkleides hinter einer Eichkatze her; Winny hatte einen zu großen Vorsprung, um demüthig zurückzukehren. Nur die fügsame May blieb stehen und hielt nun gleiches Tempo mit dem greisen Geschwisterpaar. Sie ehrte das Alter und litt insgeheim an dem Schuldbewußtsein, den gütigen Oheim, die puritanische Tante zu hintergehen.
Unterdessen ritten Mylord, Charles Mathews, Lord Cläre, Eddlestone und alle übrigen Gäste, welche auf mehrere Tage nach Newstead-Abbey hinausgekommen waren, am Saum des Forstes entlang.
Mit sehr getheilten Empfindungen begaben sie sich nach dem Jägerhäuschen.
Anfangs hatte George Byron sich zu Charles' größter Befriedigung über Erwarten liebenswürdig gezeigt.
Hobhouse, Cläre und alle Anderen strahlten sichtlich vor Vergnügen, mit nett gekleideten Pächterstöchtern Greifzeck und Blindekuh zu spielen.
Und so war man in bester Stimmung aufgebrochen, auf schattigen Umwegen gemächlich dahintrabend.
Indessen, je näher sie dem Ziele kamen, desto mehr umdüsterte sich Byron's olympische Stirn.
„Ich sehe wahrhaftig nicht ein," begann er plötzlich, gegen Charles gewendet, „weßhalb ich Dir das unnütze Opfer bringe, heute den jovialen Gutsherrn aus der Komödie zu spielen, mich durch einen Knäuel von Ammen und Wechselbälgen zu drängen und den ganzen kostbaren Nachmittag zu verlieren!"
„Eure Launenmajestät* werden sich populär machen," gab Charles mit erzwungener Heiterkeit zurück.
„Für mich," frohlockte Hobhouse, „ist's ein kostbarer Anblick: George Gordon Byron, der sich mit Ostentation langweilt."
„Ihr wißt, ich verabscheue die Menschenwüste," sagte George mit einer Grimasse.
„Du brauchst ja nur eine halbe Stunde dran zu geben, ä6ar68t," rieth Cläre; „sieh' uns ein wenig Hüpfen
„Wie heißt doch Burn'so Lbautsrr"" fiel Byron ihm in's Wort; und eintönig sprach er vor sich hin:
„Da sah er einen Ball von grimmen Geistern,
Von alten Hexen und von Hexenmeistern —"
„Oho!" protestirten die Kameraden in ihren eleganten, Hochrothen Jagdröcken.
Byron zitirte weiter:
„Der Teufel saß auf einem Brett am Fenster
Und machte die Musik für die Gespenster.
Als Ziegenbock gestaltet und im Frack,
So spielte er auf einem Dudelsack —
Ed, wie geht's weiter?"
„Und da erblickte Tom, der kühne Held —" lachte Eddlestone,
„Gebein von Mördern mit dem Galgenhaken."
„Genug," rief Hobhouse von seinem Fuchse, „laßt die Deklamation und stimmt ein Liedchen an, froh und toll, wie wir es in Cambridge bei der Punschbowle sangen."
Und Lord Cläre intonirte:
„Die Seele, die fuhr in die Höh',
Der Leib blieb auf dem Kanape."
„Ki-ka-kanape!" kreischten sämmtliche Reiter mit Ausnahme Byron's und Mathews'.
Entsetzt liefen die wilden Kaninchen in das tiefste Dickicht des Forstes hinein. Das Echo aber wiederholte wie toll: „Ki-ka-kanape!" Bob, der niedliche blau-silberne Jockey, der in angemessener Ferne auf einem zottigen Shetlandpony folgte, konnte sich das Lachen nicht verbeißen und hielt sich krampfhaft an der Mähne seines kurzbeinigen Renners, um nicht kopfüber in die gelben Blüten des Haidedorns hinab- znpurzeln.
Die rothröckigen Gentlemen schienen in der That wie besessen; sie ließen ihren Pferden die Zügel schießen, aus der bedächtigen Kavalkade entstand ein Hurdlerennen.
„Sind das Kinder!" höhnte George Byron. Der Grund seiner jäh umgeschlagenen Stimmung lag übrigens nicht in der Ursache, welche er angegeben^
* So betitelt Pope^ im „Lockcnraub" den Spleen.