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Deutsche Nornan-Bibliothek.
sondern Flora Gordon war es wieder, welche ihm die Laune verdorben hatte. Schicklicherweise hätte sich „Kaled" von der Oeffentlichkeit fern halten sollen; jedoch wenige Augenblicke nach dem Ausbruch der Reiter kam die kapriziöse Fee ihnen nachgerasselt in einer offenen Halbchaise; die goldenen Schnüre der Adonispikesche blitzten unternehmend in der Maisonne; mit kundiger Hand lenkte die Verkleidete einen Schecken, während die langen Medusenlocken unter einer rothen, kleidsamen Mütze hervorwallten.
Daher Mylords Grimm und seine pessimistischen Ausfälle gegen das bevorstehende „kindliche Vergnügen" und die „unschuldigen Spiele".
Eine beträchtliche Menge war bereits unter der majestätischen Eiche vor dem Forsthause versammelt.
Hoch in die Lüfte ragte die bebänderte und bekränzte Maistange empor. Doch die nenbelaubte Eiche prangte gleichfalls bis in den äußersten Gipfel hinauf mit bunten Seidentüchern, Rauschgold und Silberzindel.
Kaum hatte Byron sich vom Pferde geschwungen und Bob dasselbe sortgesührt, als mehrere ältere, anständig gekleidete Männer sich vor Mylord verneigten und einer davon laut und vernehmlich sagte:
„Mylord, verzeihen Sie uns, Dero Untergebenen, eine kleine Freiheit: vor etlichen Jahren beabsichtigte Seine Lordschaft, Ihr Herr Großonkel, diesen Baum, genannt die ,Pilgereichefl umhauen zu lassen. Das jammerte die Einwohner unseres guten Städtchens Nottingham; sie traten zusammen und kauften die uralte Eiche, an welche sich so viele denkwürdige Historien und Zaubergeschichten knüpfen. Also erwarben wir Beamten von Newstead-Abbey, als da Förster, Pächter, Verwalter und Schreiber im Solde Eurer Herrlichkeit stehen, — also erwarben wir diesen bemoosten Stamm, unter dessen Zweigen schon Robin Hood gesessen haben mag, und ersuchen nun unfern allergnädigsten Gutsherrn, die Pilgereiche fortan als sein Eigenthum zu betrachten und gnädigst aus unserer Hand empfangen zu wollen."
George, sonst jede öffentliche Huldigung verabscheuend, war angenehm überrascht durch den freundlichen, sinnigen Einfall der guten Leute. Der Poet in ihm freute sich des herrlichen Baumes, den so mancher berühmte Landschaftsmaler mit Stift und Farbe nachgebildet hatte, und so nahm er das Geschenk in derselben schlichten, herzlichen Weise auf, womit es ihm geboten wurde. Seine Augen, seine Mienen leuchteten förmlich, als er dem Redner und den übrigen Anwesenden auf das Leutseligste dankte.
„Gestattet mir, meine Freunde," fügte er hinzu, „daß ich euch heute bewirthe; seid meine Gäste mit euern Frauen und Angehörigen."
„Es lebe George Gordon Byron!" tönte es jubelnd in der Runde, „Mylord soll leben! Hoch, unser gnädiger Herr, und abermals Hoch!"
Der junge Lord und seine gleichzeitig eingetroffenen Freunde, darunter Mathews, nahmen unter der Eiche an reinlichen Tischen Platz, während der Wirth des sogenannten Jägerhnuschcns Ale, Porterbier, Picklcs und <l6vil8 (Geflügel mit Cayennepfeffer) auftrng.
Bescheiden zogen sich die „Unterthanen" und die Kleinbürger aus der Umgegend hinter das Rokoko-
Hänschen zurück, wo auf dem plEnra-grounä (Rasenplatz mit Blumenbeeten) Reifenspiel, Haschemännchen und allerlei Kurzweil begann.
Nur der Redner war in Sicht geblieben und zwar mit einem reizenden Mädchen, welches seltsamerweise wie Espenlaub zitterte.
„Na, Miß May," ermuthigte er verstohlen, „vorwärts mit dem Maienstrauß — wäre ich ein hübsches Mädchen und kein borstiger alter Kerl, ich wollt' mich nicht lange Zerren und sperren — Courage,
— tbat'8 n äsar."
„Ach, guter Herr Amtmann, ich sterbe."
„Ei was! Ihr braucht ja nur einen Knix zu machen und die Blumen vor Mylord auf den Tisch zu legen — eins, Zwei und — drei!"
Charles Mathews sah von Weitem seine May, welche sehr verlegen einen großmächtigen Strauß duftender Maiglöckchen, goldäugiger Narzissen und leuchtenden Rothdorns in Händen hielt. Der Liebende verstand sofort, sprang auf und ging, mit Anstand grüßend, dem schüchternen Mädchen entgegen und führte sie mit einigen freundlichen Worten zu Lord Byron.
„Zur Maifeier," nahm Charles für May das Wort, „gehören diese holden Kinder des Forstes. Sie duften Ihnen, Mylord, viel tausend Grüße zu."
„Ei, man überschüttet mich," rief George mit einem sehr „gnädigen" Lächeln, „und wandelt mir die Wirklichkeit zum reizendsten Märchen."
Froh erstaunt weilte sein blaues Auge voll Feuer und Träumerei auf der schlanken May im weißen Kleide und im bescheidenen Schmuck der venetianischen Perlen. Aus ihren Händen empfing er den Strauß und mit einem Blick voller Liebe auf Charles bot er May als Gegengabe die weiße Moosrose, die er aus dem Knopfloch seiner Jaquette nahm. May erröthete heiß und fühlte sich einer Ohnmacht nahe.
„Leider, mein Fräulein, tanze ich nicht," sagte der junge Lord mit sanftem Accent, „doch vielleicht gestatten Sie einem dieser jungen Gentlemen, Ihr Partner, Ihr beneidenswerther, sein zu dürfen — ich vernehme die Klänge eiüer Anglaise."
Mathews drückte dem großmüthigen Freunde die Hand und eilte, ohne Zeit zu verlieren, mit Rushton's Nichte nach dem Tanzplatz.
„Du hast gesiegt, meine kleine Feldmadonna," jubelte glückselig der feurige Charles, „so hebe doch das Köpfchen empor; so sei doch stolz, mein süßer, demüthiger Schatz; so stecke doch die Rose an!"
Die Cousinen machten große Augen, als sie May und den Goldgelockten zur Anglaise antreten sahen. „Hat Die einen Treffer," wisperte Winny in sich hinein, „ist Die glücklich, solch' einen allerliebsten, zuckersüßen Herrn gekapert zu haben!"
Polly, in der Angst, von Lord Byron oder der Sammetpikesche trotz des gelben Feierkleides wieder erkannt zu werden, hatte sich nicht in die Nähe der Eiche gewagt und sah nun fast scheelen Blickes auf die „unverschämt glückliche" Tänzerin.
Sämmtliche Vertreterinnen des zarteil Geschlechts
— darunter manche recht korpulente — waren in Ekstase über den Besitzer von Newstead-Abbey, „ein Engel, ein Seraph, ein Gott!" tönte es im Chorus,