Heft 
(1885) 38
Seite
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Sherwood von Julius Grosse.

Fuße auf und biß in den Bari.Den Fallenden kannst Du halten, den Gefallenen laß liegen. Sprich nicht weiter in dieser Sache. Gut, daß sie mir aus den Augen ist, ihr Name wird nicht mehr genannt. Ich Hab' es verboten Allen ohne Ausnahme. Wenn der Schmuck gestohlen ist, sieht man, daß er ent­behrlich war. Keine Schlange so giftig, man macht Arznei daraus. Da kommt Kuzmin mit der Fackel. Komm' gut nach Hause; auf Wiedersehen morgen!" Damit schüttelte er mir die Hand und schritt Zum Schlosse zurück.

Ich folgte nun langsam dem Kosaken, der in der Finstern voranschritt.

Eines schien klar. Vom alten Uschakoff war keine Sinnesänderung mehr zu hoffen.

Was blieb also Frau Nadja übrig? Entweder mit Wadkowski zu reisen oder mir nach Novomir- gorod zu folgen. Es kam ans ihre freie Wahl an, ein Drittes war nicht denkbar.

Noch möchte ich einer kurzen Episode erwähnen, die ein charakteristisches Licht auf die Begriffe und Gesinnungen von Tausenden braver Soldaten wie auf den endlichen Ansgang der späteren Katastrophe wirft.

Der alte Kosak Kuzmin, ein weißhauptiger Mann von hohem Wüchse, leuchtete mir in der Finsterniß auf dem verschneiten Wege voran. Ohne ein Wort zu sagen, schritt er vor mir, und ich war auch nicht in der Stimmung, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Plötzlich, als wir schon in der Nähe des Priester­hauses waren, blieb er stehen und begann:

Herr General haben ein so gutes Gesicht. Ich bin alt, aber man wird dümmer mit den Jahren, statt klüger, nur die jungen Leut' werden immer gescheidter. Wollen mir Euer Hochwohlgeboren eine Frage erlaubend"

Redet nur, Alter, redet nur frei."

Müssen mich aber nicht verrathen, Herr General. Sie sind gewiß weit hernmgekommen; wir hören und sehen nichts hier draußen, aber manchmal klingt's doch in der Lust, als wenn's die Vögel brächten. Es gehen wunderliche Sagen von neuer Zeit und neueil Gesetzen; Hab' auch den Herrn Lieutenant ge­fragt, den vornehmen Herrn, der uns das gnädige Fräulein wegholt, oder er fing eigentlich mit niir an und den Anderen; aber kann das Wahrheit sein, was Der wissen will?"

Was hat er Euch denn gesagt?"

Mir und den Muschiks, Herr, Abends beim Quas. Es kämen neue, große Zeiten, wo wir Armen die Herren würden, wo Alles getheilt würde, Felder und Heerden, und alle Leibeigene freie Männer würden. Das hat uns der Lieutenant gesagt, Herr; wenn's so wäre wenn der Geist Patknl's ruft und Stenko

Razin, dann steigen wir Alle zu Pferde; bei meiner Seligkeit, dann holen wir uns die Freiheit, uns und unseren Kindern!"

Mich überraschten diese Bekenntnisse keineswegs. Diesem schlauen Artillerielieutenant war es znzutrauen, daß er selbst im Scheiden noch Wind säte, um Sturm zu ernten. Es war die höchste Zeit, daß der gefährliche Mensch das Feld räumte. Es wäre vergeblich gewesen, den alten Mann jetzt anszuklären, ich ermuthigte ihn vielmehr, weiter zu reden.

Hum," sagte der alte Kosak,Eins möchte ich dem Herrn General noch sagen. Wir verstehen uns auf die fremden Worte nicht. Da sprach der Herr Lieutenant von einer Konstitution. Mas ist das nun?' fragte Einer. »Vielleicht die Frau vom Groß­fürst Konstantin?' Da lachte der Lieutenant und meinte, so etwas würde es Wohl sein. Dann sprach er von Republik. Was ist das nun wieder, Herr? Und das Staunen von Allen! »Gut,' sagte ich, ,wir werden rufen:Es lebe die Republik!" wie der Herr befiehlt, wer aber wird dann Zar sein?' ,Da gibt es keinen Zaren mehr,' meinte der Herr Lieutenant. »Herr, das geht nicht in Rußland!' riesen wir Alle. »Mit der Republik mag's sein, aber sie muß wenig­stens einen Zaren haben.'

Schauen, Herr General, das hat uns stutzig gemacht und nachdenklich. Herr General wissen selbst, wir Russen stehen wie eine Mauer im Kugelregen, ohne mit den Augen zu zucken, aber Gehorsam muß sein, und wem sollen wir gehorchen, wenn's keinen Zaren mehr gibt? Das ist eine böse Sache, und da wird's auch also mit den anderen schönen Dingen nichts sein!"

Ihr seid ein braver alter Mann," erwiederte ich ihm.Fahrt fort, so zu denken, und warnt die Anderen. Zu einem Verbrechen will man euch ver­leiten, und ihr Alle würdet unglücklich werden. Seid froh, daß dieser falsche Prophet abreist. Er wird hoffentlich schon von selbst aus andere Gedanken kommen. Gute Nacht!"

Damit beendete ich dieß Zwiegespräch, das mir heute noch denkwürdig ist, weil es zeigte, wie falsche Vorstellungen sich die Verschworenen von der wahren Stimmung des Volkes machten.

Genau so wie der alte Kuzmin waren Millionen bereit, blindlings Gut und Blut für ein Idol zu opfern und vorwärts zu stürmen, aber es mußte mit ihren Begriffen stimmen, die einstweilen noch andere waren, als die der westlichen Nationen. Und so ist es auch gekommen, daß mitten in der Begriffsver­wirrung ein kühles Wort zur rechten Zeit Tausende von Verblendeten in den Bann der Pflicht zurückries.

(Fortsetzung folgt.)