Heft 
(1885) 38
Seite
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Deutsche Koman-Bibliothek.

ob man überhaupt die Menschen verbessern will und ihre Zustände, oder ob Einem das vollkommen gleich­gültig ist. Dann bleibt man ein Thier und ein Stein. Aber was brauche ich deßhalb in Rußland zu bleiben? Wollte ich zum Beispiel konspiriren, könnte ich's in Paris und Italien ebenso gegen die Bourbonen, als in Oesterreich gegen Metternich. Zündstoff liegt ja überall, und er wird ansflammen, sobald die Stunde gekommen. Ich fürchte nichts, aber wenn meine Reise verdächtig erscheint, oder wenn es General Uschakoff verlangt oder meine Braut, dann würde ich ebenso gern bleiben. Man kann überall glücklich sein, mitten in Dornen, man kann auch überall sterben, mitten in Rosen. Manchmal ist mir's, als käme ich überhaupt nicht fort von hier. Es lebe die Liebe!"

Und dabei stieß er mit seinem Glase so heftig an das des Nachbars, daß es zerbrach.

Wadkowski's wunderliche, zum Theil konfuse und paradoxe Rede imponirte gerade deßhalb den Meisten, die doch nur einzelne Wendungen ersaßt hatten. Andere fanden Zwar, daß er sich verwickelt und höchst bedenkliche Meinungen geäußert habe. Diese be­trachteten ihn mit Scheu und Mißtrauen und schüttelten die würdigen Häupter.

Glücklicherweise gelang es seiner Braut Ta- tiana, die getrübte Stimmung wieder Zn verscheuchen. Lächelnd und mit anmuthiger Koketterie schwebte sie zu ihrem Bräutigam und lehnte sich zärtlich an seine Brust.

Alexander, wie sonderbare Grillen auf einmal. Ich verstehe Dich nicht. Warum noch einmal Alles in Frage stellen, nachdem es so mühsam erkämpft ist. Wir reisen morgen, dabei bleibt es ach, ich wollte, wir wären schon in voriger Woche auf und davon, bevor die Trauerkunde kam."

So fügte sich's denn, daß Niemand weiter in den geheimen Sinn der Worte Wadkowski's eindrang. Aber er mußte eine Ahnung haben, daß ich ihn völlig verstand. Sein Auge war wiederholt forschend auf mich gerichtet, und er mochte nun erst darüber Nachdenken, daß ich ihn gereizt, weil ich ihn voll­kommen durchschaute. Kurz, meine Gegenwart schien einen lastenden Druck auf ihn zu üben, und er be­gann, wie ich bemerkte, mit seiner Braut ein leises und heftiges Gespräch, worin es sich Zweifellos um Sherwood und Jamestown handelte, wenigstens hörte ich deutlich diese Namen.

Die Konversation nahm bald eine andere Wen­dung. Man sprach über den Huldigungseid, den wir demnächst dem Großfürsten Konstantin Paulowitsch, dein ältesten Bruder des Kaisers, zu schwören haben würden.

Die Charaktereigenschaften des sehr unbeliebten Großfürsten, der in den letzten Jahren als Statt­halter von Polen ein wildes Leben in Warschau geführt, wurden ziemlich freimüthig beleuchtet, und es gab Viele, welche die Zukunft Rußlands nur im düstersten Licht sahen und den Ausbruch einer all­gemeinen Revolution gerade Konstantin's halber für unvermeidlich hielten.

Es war noch nicht spät geworden, aber da sich bei mir die Ermüdung nach der zweitägigen Reise

geltend machte, verließ ich ohne Aufsehen die Gesell­schaft, um mich zur Ruhe zn begeben.

Mein Weggehen war dennoch nicht unbemerkt geblieben. Noch auf der Treppe ereilte mich der alte Uschakoff.

Alter Freund und Waffenbruder! Wie ist das? -- Aha, ich merke, Du bist müde. Auch gut, komm', ich bringe Dich in Deine Kabine."

Danke, General. Für mein Nachtquartier ist gesorgt. Ich wohne beim Popen."

Wie, Du verschmähst mein Hans? Das gebe ich nicht zu, unter keinen Umstünden."

Es kostete somit doch noch einige Mühe, mich frei zu machen; die Unruhe im Schloß, das ganz von Gästen überfüllt war, daun meine alte Freund­schaft mit dem alten Smirnoff Beides überstimmte endlich die Argumente des alten Herrn; gleichwohl ließ er es sich nicht nehmen, mich wenigstens über den Hof zn geleiten, nachdem er den alten Knzmin gerufen, sich fertig zu machen und eine Laterne zu holen, um mich zum Hanse des Popen zu führen.

Während wir warteten, fragte Uschakoff:Sag', alter Kamerad, was hältst Du eigentlich von meinem Schwiegersohn?"

Ein Kavalier eomme U knut," sagte ich,ein raffinirter Kopf. Ich glaube, man kann beiden Theilen gratuliren."

Freut mich, wenn er Dir gefällt. Wärst Du früher gekommen, hätte ich mein Wort eingelöst von Anno Vierzehn. Aber die Mädchen und die Kirschen, weißt Du die kann man nicht lauge bewahren, nicht im Hanse, nicht auf dem Baum. Und was nicht tief wurzelt, das wipfelt auch nicht hoch. Laß Dir sagen, die Sache ist nicht erst von gestern, ist auch nicht so glatt gegangen. Eigentlich war der Pakt schon fertig seit beinahe vier Jahren. Da kam Böses dazwischen. Ich schöpfte Verdacht, daß auch er nicht sauber unter dem Brusttuch, meinte, daß er auch zn der Schwefelbande gehörte, und gab ihm kurzweg den Laufpaß. Aus Fenerbränden kann man kein Hans bauen. Freut mich, daß er sich nun be­kehrt hat. Rechte Weiberhand kämmt auch Tenfels- mähnen glatt. Mit seinen Worten darf man's nicht so genau nehmen, da spukt noch das wilde Feuer. Aber so sind sie Alle. Nitschewo! Reich ist er auch, und Tatiana welkte hin zum Erbarmen. So will ich mich denn drein ergeben und dem Gaul nicht weiter in die Zähne sehen."

Jetzt schien mir der rechte Augenblick gekommen für mein Anliegen.

Seid ein beneideuswerther Mann, General, meinen herzlichen Glückwunsch. Was habt Ihr sonst noch vom Leben zu hoffen, als Eure Kinder glück­lich versorgt zu sehen. Aber wie war es denn, General, hattet Ihr nicht noch eine Tochter?"

Die ist todt!" rief der Alte mit barschem Ton.

Und wie starb sie?"

Frage mich nichts mehr!" fuhr er heraus. Ich sage Dir, sie ist todt, und schlimmer als das; was weiß ich. Darum müssen die Alten auf den Knieen liegen, weil die Kinder auf den Knieen saßen. Es war mein Lieblingskind, das ich für mein Alter auferzog und nun so!" Er stampfte mit dem