Sherivood von Julius Grosse.
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drohenden Verbrechen so entkommen und daß er somit eigentlich zur rechten Zeit gestorben sei.
„Und auch ein Gluck für die Verschwörer!" fügte ich bei, indem ich Wadkowski fixirte. „Denn nun ist ihr Unternehmen wenn nicht gegenstandslos, doch gekreuzt — und die Verbrecher gewinnen Zeit, zu bereuen oder sich in Sicherheit zu bringen."
Da rief Wadkowski mit blitzendem Auge: „Und dennoch, meine Herren, möchte ich mir die Mahnung gestatten, weder die Personen jener Abwesenden ohne Weiteres zu verdammen, noch ihre Macht zu unterschätzen! Mit dem Tode des einen Selbstherrschers ist noch keine Bürgschaft gegeben für die Erneuerung und Wiedergeburt Rußlands. Wenn diese, wie man sagt, der Zweck jenes Bundes, so bleibt auch dieß Ziel bestehen, denn glauben Sie nur, die Thätigkeit des Bundes war und ist nicht gegen einen einzelnen Sterblichen — sie ist gegen ein System gerichtet. So lange das Hans Romanow dabei beharren wird, die menschenwürdige Entwicklung Rußlands zu unterdrücken oder hinanszuschieben, so lange wird das Hans Romanow auf dem Vulkan bleiben. Der Bund der Brüder wird sich von dem Zwischenfall nicht abschrecken lassen. Im Gegentheil, ich fürchte, er wird ihn als ersten Stoß des Schicksals zu benutzen wissen!"
Die Wirkung solcher vermessenen Worte war wie die eines Funkens im Pulverfaß.
„Woher wissen Sie?" — „Wie können Sie solche Schlüsse ziehen?" — „Wer hat Ihnen Bekenntnisse gemacht?" Solche und ähnliche Fragen und Ausrufe kamen von allen Seiten, und man um- drüngte den Kühnen, der sich nur mit Mühe der auf ihu Eiustürmenden crwehreu kouute.
„Aber was wollen Sie, meine Herren!" rief Wadkowski mit Geistesgegenwart, „ich schließe nur uach Analogieeu. Die Geschichte lehrt, daß Parteiprinzipien unsterblicher sind, als die Individuen. Die Letzteren kam: man einkerkern, deportiren, todtschlagen, verbrennen — die elfteren erstehen wie ein Phönix aus Blut und Asche. Das ist kein Hochverrath, das ist die Lehre der Geschichte. Uebrigens setzte ich nur den Fall, daß der Nachfolger des Kaisers auf denselben Bahnen sortwandeln würde!"
„Und für diesen Fall soll er eine eherne Mauer finden zu seinem Schutz! Des Volkes Liebe ist des Zaren Kreml!" rief der alte Uschakoff, dessen verhaltener Grimm nunmehr alle Schleusen durchbrach. „Besser ein Solotuik Treue, als tausend Pud Freiheit. Was sollen uns solche Worte! Die Körner rascheln nicht, aber das Stroh. Wer dem Zaren dient, kann nicht dem Volke dienen. Uebrigens mit Verlaub, Ihr Herren, dieser Kaiser Alexander war zuletzt ein Betbruder geworden, und wo ein einbeiniger Zar regiert, da befiehlt der Ukas das Hinken. Uns thut ein Herrscher noth, der mit eiserner Kuute unter dieß Gezücht fährt. Ein feister Gaul schlägt gern aus, ein magerer steht still; aber zum Glück rostet noch jedes Eisen und reißt jeder Strick, der für einen Kaiser bestimmt ist. Mißt' ich, wo diese Otterubrut von Mordbuben nistet, mit kaltem Blut könnte ich sie aufknüpfen, Niederknuten, im Mörser zerstampfen. Lassen Sie uns darauf an
stoßen, daß wir uns Alle getreu um den Kaiser schaaren, sei es nun Konstantin oder Nikolaus. Gott segne Altrußland, zur Hölle mit der Verrätherbrut!"
Wieder klangen die Gläser hell an einander; Wadkowski hatte sich wie zufällig abgewandt.
„Nun, Lieutenant Wadkowski," rief der Alte, „warum bleiben Sie zurück?"
„Bester General," antwortete dieser, „ich theile alle Ihre Wünsche, daß wir Frieden behalten nach außen und innen. Wenn Wünsche nur immer Kraft hätten! Warum gleich ,Kreuzige!' rufen gegen Andersdenkende — und gesetzt auch, es käme zur Katastrophe. Glücklicherweise überhebt mich meine Reise all' diesem Wirrwarr. Wie will ich meinem Gott danken, wenn ich in Italien bin und dort der alten, großen Römer gedenken kann. Sie haben ganz Recht, wir müssen uns bescheiden; wir sind noch nicht reif, in die Reihe der anderen Kulturstaaten einzntreten."
Diese aalglatte Gewandtheit des Renegaten belustigte mich, aber reizte mich zugleich.
„Wenn Sie wirklich eine Katastrophe fürchten, Herr Lieutenant, so wundert mich Ihre Reise."
Wadkowski wich meinem Blick aus und zündete seine erloschene türkische Pfeife wieder an. „Wie meinen Sie das mit dem Wort ,Fürchtew?"
„Ich will nur sagen," erwiederte ich, „wenn wirklich eine Katastrophe einträte, müßte Ihr Pflichtgefühl als Offizier Sie zurückhalten im Vaterlande. Außerdem auch findet man es auffallend, daß so Viele gerade jetzt reisen wollen, wo es sich um einen neuen Huldigungseid handelt. Ich fürchte, man wird Sie gar nicht über die Grenze lassen, bevor Sie dem Nachfolger Treue geschworen haben."
„Allerdings," bemerkte ein Anderer, „daß so Viele jetzt reisen, könnte man wie eine Art von Desertion deuten."
„AberIhnen wird man eine Ausnahme gestatten," sagte ein Dritter scherzend, obgleich es wie Spott herauskam, „Sie machen ja eine Hochzeitsreise — ist auch eine Art Dienstreise — im Dienst Hymen's."
Wadkowski gab sich Mühe, zu lächeln, obgleich ihm der Scherz mißfiel. Er leerte sein Glas mit einem Zuge.
„Sehr gütig von Ihnen, mein Herr. In Versen würde Ihr Epigramm vielleicht noch geistreicher klingen. Sie meinen, die Liebe gibt einen besonderen Freibrief, vielleicht, daß selbst Kosaken und Grenzwächter so galant sind, den Paß Hymen's zu respektiren. Ich danke Ihnen. Aber einen dauernden Schutz gibt auch dieser Paß nicht. Weder sich selber entrinnt der Mensch, noch seinesgleichen. Wie sagt ein deutscher Poet: Die Welt ist eigentlich vollkommen überall, aber sie wird häßlich überall durch den Menschen. Das ist's, und man könnte also eine Hochzeitsreise nur an den Nordpol machen, um ungestört zu sein." Dann zu einer andern Jdeenreihe überspringend, fuhr er fort: „Aber was die Menschen häßlich machen, kann mau auch verbessern, nicht auf einmal, sondern allmälig, und das nennt man dann Reform und daraus entsteht die Geschichte. Und was thut der Einzelne dazu. — Es ist immer dieselbe Sache allüberall auf Erden. Ich meine, es kommt nur darauf an, wie man sich selbst stellt.
