Heft 
(1885) 38
Seite
908
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Deutsche Roman-Bibliothek.

Das war mir bekannt, aber hier war es noch schlimmer und ebenso wie in Smolensk. Man stand und saß in flüsternden Gruppen beisammen; jedes allgemeine Gespräch erstarb in halblauten Worten, und die spähen­den Blicke flogen jedem neuen Ankömmling entgegen, als müsse er das erlösende Wort bringen.

Wäre nicht der glückliche Bräutigam und die strahlende Braut wie ihre bevorstehende Reise von Zeit zu Zeit wieder zum Mittelpunkt des Gesprächs, der Fragen und Komplimente geworden, mau hätte glauben können, nicht in einem Hochzeitshause, son­dern in einem Trauer-Hause zu sein.

Gleich in der ersten Viertelstunde lernte ich Wad- kowski kennen, den mir Tatiana selbst zuführte. Sherwood hatte wirklich nicht zu viel gesagt. Das war das Ideal eines jungen, interessanten Mannes von einnehmendstem Aeußern und weltgewandten Manieren. Das war weder ein Eatilina, noch ein Brutus oder Cassius, eher ein Alkibiades, in das moderne Russische übersetzt. Und daß sich dieser extravagante Kopf von Eros hatte zähmen lassen, daß er seiner Braut zuliebe alle finsteren Pläne vertagt oder aufgegeben hatte, um vorläufig nur glücklich zu sein, machte ihn mir doppelt interessant. Was er dabei an Größe und starrem Charakter ein­büßte, das gewann er als Mensch.

Daß ich theilweise seine Vergangenheit kannte und wußte, daß er eigentlich auf der Flucht vor der Entdeckung war und sein Glück nur so im Fluge beiläufig mitnahm, erhöhte meine Theilnahme für ihn. Allerdings schien es jetzt fraglich, ob die rasche Abreise noch so unumgänglich und uothwendig sei, bevor man wußte, wie die Diuge sich gestalten würden.

Einigemal suchte ich ihn in ein Gespräch zu ver­wickeln, um zu erforschen, ob er von Sherwood's Identität mit Jamestown wisse, theilte auch mit, daß ich Bulgari, Pestel und Murawieff in Smolensk getroffen, er aber wich allen meinen Fragen geschickt aus und zog sich endlich in unverholenem Miß­trauen zurück.

Die Schwüle der Stimmung lastete auf Allen, und meine Hoffnung, den alten Uschakoff beiseite zu nehmen, um die Versöhnung mit seiner Tochter vorzubereiteu, schien aussichtslos. Keine Minute konnte ich seiner habhaft werden und verwünschte schon meine Reise, wie diese ganze lästige Gesellschaft.

Die Spannung des Unausgesprochenen wurde Zuletzt so unerträglich, daß es wie eine wahre Er­lösung wirkte, als es endlich dennoch unverhofft zum offenen Ausdruck kam.

Der letzte Herr, welcher gekommen, war der Jsprawnik selbst, der Chef des Kreises von Tarussa, ein würdiger, greiser Mann von ehrfurchtgebietendem Aeußern. Ich habe seinen Namen vergessen, aber die Anwesenheit einer solchen Autorität brachte von: ersten Moment an die unsichere Stimmung in eine gewisse ruhige und vertrauensvolle Erwartung.

Plötzlich, man saß im Nebenzimmer bereits bei Punsch und Tabak, und die Gemüther begannen auf- zuthauen, als der greise Jsprawnik sich erhob und mit Salbung begann:

Nun, meine Brüder und Herren, wir sind unter uns, lauter gute Russen und getreue Unterthanen unseres

erhabenen Kaiserhauses. Unser theures Vaterland hat schon viel und Schweres erlitten, aber es hat alle Stürme siegreich bestanden und wird die Kraft finden, auch kommende Prüfungen, wenn sie verhängt sind, zu bestehen. Drum gestatten Sie nunmehr, des unbegreiflichen, niederschmetternden Ereignisses zu gedenken, das uns Alle betroffen. Ich kann ver­sichern, die Gerüchte bestätigen sich im ganzen Um­fange. Der Vorsehung hat es gefallen, unfern all- geliebten Herrn und Kaiser aus dieser Zeitlichkeit ebenso rasch als unerwartet abzurnfen. Wir wissen, welchen gütigen Vater, welchen unvergleichlichen großen Mann wir verloren haben, lassen Sie uns dieß Glas den Manen des nunmehr in Gott Ruhenden weihen!"

Man trank schweigend das Glas aus und das Ausbleiben jedes Zeichens von Ueberraschnng bezeugte, daß die Trauerkunde im Geheimen bereits bekannt war. Allmälig erst fielen einige Aenßerungen der Neugier und des Interesses.

Und kennt man auch die Ursache des Todes?"

Man kennt sie," erwiederte der Jsprawnik.Es war ein schleichendes Fieber. Uebrigens hat es an rechtzeitiger Hülfe nicht gefehlt. Ein deutscher und ein russischer Arzt waren anwesend. Ihre Berichte werden seinerzeit veröffentlicht werden."

Aber wie ist das? Man sprach von einer all­gemeinen Verschwörung gegen das Leben des Kaisers und seit lange schon. Diese Teufel sollen zu Allem fähig sein!"

Da erhob der greise Jsprawnik wie abmahneud seine Hand, als sei es ein Gebot der Pietät, solche Dinge nicht zu berühren, ja als sei es Hochverrat!), solchen ominösen Vermuthungen auch nur Ausdruck zu geben.

Ja Wohl, meine Herren, es ist weit gekommen in unserem heiligen Rußland. Die Völkerwiege der Zukunft heut ein Herd unnatürlicher Selbstzerstöruug. Seit den Tagen Jwan's, Nazin's und Patkul's haben wir nichts Aehnliches mehr erlebt. Das ist die Frucht des unseligen Liebäugelns mit dem Ausland, das die Hirngespinuste unreifer Jugend, verblendeter Jdeologeu, verführter Träumer, die am Narreuseil verbrecherischer Empörer fortgcrissen werden.

Und es erhöht unfern Schmerz, daß wir wissen: der Kummer über solche Ausartung hat das Herz unseres erhabenen Kaisers gebrochen. So ist es, meine Herren, der Undank ist das schleichende Todes­gift für die Wohlthäter der Menschheit. Das wird die Geschichte konstatireu und der Nus des Volks: Fluch diesen Judassen und Marats! Mögen sie keinen Frieden haben, im Leben wie in der letzten Stunde!"

Und in ähnlichem Tone machte sich die Loyalität altrussischer Gesinnung und Zarentrene der Anderen geltend.

Ich beobachtete währenddem Wadkowski. Er spielte den Gleichgültigen, indem er den Punsch Zum Licht erhob und seine Farbe zu prüfen schien; aber er war blaß und unruhig geworden und von Zeit zu Zeit funkelte aus seinen Augen ein lauernder und drohender Blick auf den Sprecher.

Irgend Jemand konnte sich der Bemerkung nicht enthalten, wie es ein Glück sei, daß der Kaiser den;