Feuilleton.
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was ich gethan, man würde mich als Mitschuldigen behandeln können. Leider mißtraute er mir, und sein Stolz mochte einem Verräther nichts zu danken haben. Er will sein Geschick tragen wie ein antiker Held. »Willst Du etwas thun/ sagte er beim Abschied, ,so rette meine Frau;' und dann gab er mir an, wo ich sie finden würde, nämlich bei einer befreundeten Familie, wo sie sich unter fremdem Namen aufhält.
„Nur mit großen Mühen gelang es mir später, dort vorgelassen zu werden und Tatiana zu sprechen. Wie soll ich Ihnen dieß Wiedersehen schildern? Was ist aus der schönen, reizenden Frau geworden? Sie erschien mir um zehn Jahre gealtert. Zuerst war sie erschrocken, mich plötzlich in Petersburg zu sehen, und stellte eine Menge von Fragen. Erst als ich ihr Nachricht von ihrem Gemahl brachte, schien sie einiges Zutrauen Zu gewinnen. Von meiner wahren Rolle hatte sie ja keine Ahnung. Gleichwohl verbarg sie mir nicht, daß sie mich eigentlich haßte und verachtete.
„Vergeblich machte ich ihr den Vorschlag, nach der Heimat, nach Tarussa Zurückzukehren; sie weiß ja, daß der alte Herr unter dem Einfluß Nadjesch- da's ihr längst verziehen hat. Aber sie wollte nichts hören, sie wollte bis zum Ende anshalten. Ihr Vater hat ihr sofort ihr Erbtheil auszahlen lassen, so ist sie wenigstens vor Mangel geschützt. Was sage ich, Mangel — sie hat über Tausende zu verfügen, und so könnte wohl noch etwas Unerwartetes geschehen, denn mit Gold ist ja hier Alles zu erreichen.
„Neulich sprach ich sie zum letzten Male und kam auch auf diesen Punkt. Sie trägt sich mit
exceutrischen Plänen, doch ich darf nichts davon verratheu, ist es doch ungewiß, ob Wadkowski dem Todesurtheil entrinnt. Würde ihm die Gnade Sibiriens gegönnt, so will sie ihn begleiten. Eine heroische Natur. Ich verehre sie, obwohl sie mich von oben herab behandelt. Wie würde sie mich erst hassen, wenn sie Alles wüßte — daß ich und kein Anderer Zum Judas an meinem Freunde, an ihrem Gemahl geworden.
„Gestern wurde ich nicht mehr vorgelassen. Natürlich — der Prozeß hat begonnen und seitdem wird sie wissen, wer ich Lin. So geheimnißvoll man auch verfährt bei den Verhören, am Tage darauf weiß die Stadt Alles, als hätten Mauern und Steine tausend Ohren.
„Es bestätigt sich, daß mindestens Vierzig zum Tode verurtheilt werden. Leben Sie wohl, Oberst. Soeben werde ich zum Kaiser geholt. Der Himmel weiß, was die nächste Stunde bringt — mein Verderben oder meinen Sieg. Sollen alle Vierzig sterben, so verdiene auch ich nicht mehr zu leben. Könnte ich Engelszungen haben, dem Kaiser in's Gewissen zu reden! Beten Sie für mich, Oberst. Ich bin fromm geworden aus Verzweiflung und Nichtswürdigkeit. Hören Sie nichts mehr von mir, so bin ich verloren mit allen Anderen. Trösten Sie Nadjeschda, sie war mein guter Engel auf Erden. Ich werde ihrer gedenken in meiner letzten Stunde!"
Das war Sherwood's letzter Brief, der mich bekümmerte und erschütterte. Und dieser Brief war bereits Monate alt. Was war seitdem aus Sher- wood geworden?
(Fortsetzung folgt.)
Feuilleton.
Eine pariser Mutter.
Der »VW Uarisionno" nacherzählt.
Vor der Kirche. Es schlügt halb Eins, die Trauung ist vorüber und die Wagen fahren vor. Das Wetter ist reizend.
Eine Dame zwischen vierzig und fünfundvierzig Jahren, groß und sehr blond. Etwas zu üppig in den Formen, aber immer noch recht hübsch. Teint rosig, Augen schwarz, Mund voll, Gesichtsausdruck die Liebenswürdigkeit selbst, Toilette sehr chic: schwarzes Spitzenkleid, Hut von Paille d'Or, mit Nosen verziert.
Ein junges Mädchen, fünfundzwanzig Jahre alt, schlank und geschmeidig wie eine Tanne, kastanienbraunes Haar, reizendes Gesichtchen mit einem ernsten Zug um den Mund, Toilette ausgesucht einfach, aber geschmackvoll, perlgraues Kostüm und englisches Strohhütchen mit „Touffes de Giroflees".
Die Dame (sich umschend): Natürlich wieder kein Wagen da! Was hast Du denn dem Jean gesagt ? — Das junge Mädchen: Was Du mir aufgetragen hast, ihm zu sagen — er solle nach Hause fahren. — Die Dame: Mein Gott, ich dachte, Herr von Belayor würde uns begleiten — aber er ist nirgends zu sehen — nirgends ... — Das junge Mädchen (für sich): Gott sei Dank! — Die Dame: Wie? Was hast Du gesagt? — Das junge Mädchen: Nichts, Mama. — Die Dame: Ich habe es recht gut gehört. — Das junge Mädchen: — ... — Die Dame: Du hast gesagt: Gott sei Dank! Ich glaube gar, Du freust Dich darüber, daß Herr von Belayor anfängt, sich zurückzuziehen. — Das junge Mädchen
(um der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben): Wir können ja ganz gut zu Fuß nach Hause gehen, Mama; es ist gar nicht so weit. (Sie machen sich auf den Weg.) — Die Dame (das Thema wieder ausnehmend): Du hast wahrhaftig keine Zeit mehr zu verlieren, was das Heirathen anbelangt. Alle Deine Freundinnen sind nun bereits unter der Haube, das war die letzte heute. Alle sind eben nicht so ungeschickt wie Du! . . . Du nimmst zusehends ab, Du wirst gelb ... Du siehst bereits aus wie eine alte Jungfer . . .
— Das junge Mädchen: — ... — Die Dame: Schüttle nur nicht den Kopf, es ist so. Ich beobachtete Dich vorgestern am Polterabend. Was ich für eine Mühe hatte, Dich herauszuputzen. Hundertmal kann man Dir sagen, Du sollst einen tieferen Ausschnitt tragen, immer wieder steckst Du drin bis an die Ohren. Deine Büste ist noch das Beste an Dir, und doch hast Du es Dir in den Kopf gesetzt, sie nicht zu zeigen . . .
— Das junge Mädchen: — ... — Die Dame: Du hast gar nicht nöthig, eine so moquante Miene aufzusetzen ... ich rathe Dir nur zum Guten ... es ist nichts Schlimmes, wenn sich ein heirathsfähiges Mädchen von seiner besten Seite zeigt . . . was den Körper anbelangt. Die Männer lieben es nun einmal nicht, die Katze im Sack zu kaufen, es ist ihnen auch gar nicht zu verdenken. Und wenn man etwas aufzuweisen hat
— eü dien — so zeigt man es eben und profitirt davon. Wenn es auch weiter keinen Zweck hat, als die Anderen in den Schatten zu stellen, das ist doch schon etwas. Betrachte nur einmal neben Dir diese kleine Vogelscheuche von Bertha. Sie hat gar nichts; das reine Skelet; ich glaube bestimmt, sie