Heft 
(1885) 39
Seite
934
Einzelbild herunterladen

934

Deutsche Nornan-Bibliothek.

Nachdem ich das Alles erfahren und jede Ein­rede wirkungslos, blieb mir nichts Anderes übrig, als zu handeln. Ich schrieb ein Billet an den General Diebitsch, von dem ich wußte, daß er im Winterpalast war, und rieth, die Parade auf dem Jsaaksplatze abzusagen und die Eidesleistung in den einzelnen Kasernen vornehmen zu lassen.

Sie werden gehört haben, daß man meinen Rath sofort befolgt hat. Viele Regimenter wider­standen, aber treu blieben die sinnländischen Jäger, die Sappeurs, die Kavaliergarde, die Regimenter Preobraschenski und Semenof, auch die Paulowski- Grenadiere. Daß sie treu geblieben sind, ist zum Theil mein Werk, und darauf bin ich stolz!

Zum Kampf freilich ist es gekommen, oas werden Ihnen hundert Zungen berichtet haben. Das Trauerspiel begann, aber es endete zum Schrecken für Die, welche es ersonnen."

*

Und in einem andern Briefe, der eine Woche später geschrieben war, hieß es:

Glauben Sie mir, Oberst, manchmal bin ich dem Wahnsinn nahe. Wenn auch Araktschejef durch sein täppisches Eingreifen den Ausbruch beschleunigt hat, sagen muß ich mir doch: ich bin schuldig, daß Blut geflossen, und ebenso, daß Hunderte jetzt im Kerker schmachten. Nicht wahr, das ist Heller Wahn­sinn, denn ich habe die Verschwörung nicht erschaffen, aber Eines bleibt doch so: ohne meine Warnungen keine Abreise, ohne Abreise keine Verhaftungen, ohne Verhaftungen kein Ausbruch der Revolution aus diesem heillosen Cirkel komme ich nicht heraus!

Was denken Sie von mir, Oberst? O, wenn Sie mich trösten könnten in meinen selbstquälerischen Gedanken. Ich habe keinen Schlaf bei Nacht und keine Ruhe am Tage; es ist ein Zustand zum ver­zweifeln !

Der Minister Araktschejef existirt nicht mehr für mich. Ich habe meinem Kaiser geschworen und sein Militärkabinet führt die Sache nun zu Ende. Die Rasenden haben auf Vernunft und Güte nicht hören wollen. Mag nun die Hydra ausgerottet werden mit Stumpf und Stiel ja, Herr Oberst, und kostet es mein Leben, und kostet es mein Leben!"

Und wieder in einem späteren Briefe vom Ende Januar:

Also auch der Südbund hat losgeschlagen und ist zerschmettert worden. Die Unsinnigen, die Toll­köpfe, die Verrückten! Was habe ich Ihnen damals gesagt, Oberst? Diese Rasenden sind unheilbar. Wozu nun diese Ströme von Blut, all' die Thränen und der Jammer nun? Ich sage nichts weiter. Sie werden die Thatsachen kennen. Die Gefangenen sind bereits eingebracht, Murawieff, Pestel, Juschnefski, Bulgari, Davidoff Alle, Alle! Ich scheue mich, sie wiederzusehen, und doch wird es kaum zu ver­meiden sein. Der Riesenprozeß ist bereits im Gange. Von seiner Schwierigkeit macht sich Niemand eine Vorstellung. Gegen Zweihundert sind angeklagt. Tausende von Zeugen werden erwartet; dazu die

Komplikationen seit fünfzehn Jahren. Der Kaiser will der Sache bis auf den Grund gehen. Es heißt, daß mindestens Fünfzig Zum Tode verurtheilt werden. Was liegt mir daran! Sie haben ihr Loos nicht anders gewollt.

Ich soll als Zeuge öffentlich auftreten. Natürlich. Der Minister will mich nun moralisch kompromittiren und vernichten, nachdem ich verbraucht bin. Aber er soll sich vorsehen, daß er nicht selbst über mich in die Grube stürzt. Er hat eigenmächtig gehandelt, trotzdem ihm Kaiser Alexander die Hand gebunden. Er hat mir den Fenerbrand des Geheimnisses ent­reißen wollen, und so ist die Glut in's Dach ge­flogen. Ich wollte, sein Gewissen wäre so rein wie das meine!"

Noch Eins," hieß es im letzten Briefe.Auch Wadkowski, mein Schwager, ist nun seinem Ver- häugniß verfallen. Ich habe früher nichts von ihm geschrieben, denn ich traute der Sicherheit der Briefe nicht ganz und wollte nicht auf seine Spur leiten oder ihn gravireu. Jetzt ist die Vorsicht unnöthig, denn Sie erhalten diesen Brief durch besonderen Boten. Sie wissen, man brachte ihn schon in der ersten Hälfte des Dezember hieher, verhaftet mit seiner Frau. Seine Lage war damals ganz un­gefährlich, nur seine Abreise hatte ihn verdächtig gemacht, aber beweisen konnte man ihm nichts, denn seine Papiere hatte er richtig verbrannt.

Glücklicherweise hatte seine Frau die Klugheit gehabt, ihre Juwelen bei sich zu behalten, und so gelang es ihr, den Wächter zu bestechen, sich und ihren Gatten zu befreien, gerade in der Nacht vor der Revolution.

Aber was that der Rasende. Statt sich in Ruhe zu verhalten, suchte er sofort die Bundes­brüder im Moskauischen Regiment auf, und als er erfahren, was im Werke war, stürmte er mit auf den Jsaaksplatz, entschlossen, den Entscheidungskampf mitzuwagen und das Schicksal seiner Freunde zu theilen. Und ich fürchte, er hat blutige Schuld auf sich geladen. Noch kennt man den Mörder des Miloradowitsch nicht, aber unter vielen Namen nennt man auch Wadkowski. Einige Stunden lang hatte der Aufstand Aussicht zum Siege; doch das wissen Sie. Nachher und am andern Tage wurden alle Offiziere verhaftet, Wadkowski aber noch am näm­lichen Abend. Seine Frau hat ihn nicht wieder­gesehen.

Als ich von seiner Anwesenheit erfuhr, war er schon verloren. Später ist es mir gelungen, ihn auf der Peter-Paulssestung zu sprechen. Sie können sich denken, wie er vor Wuth aufschäumte bei meinem Anblick. Jamestown heißt der Ehrlose, dem längst Alle den Tod geschworen haben, aber Sherwood ist ihnen immer noch unerreichbar geblieben. Ich ließ ihn anstoben, dann habe ich ruhig mit ihm ver­handelt stundenlang. Stellen Sie sich sein Staunen vor, als er erfuhr, wie nahe ich ihm stand, daß der geächtete Jamestown sogar sein Schwager war.

Bei Meinem zweiten Besuche erbot ich mich, ihn zu retten mit Gefahr meiner Freiheit und meines Lebens; ich sage Ihnen, Teerst, wüßte mgn Alles,