Kinder der Flamme von Günther von Freiberg.
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Bob vermochte nicht ein verständliches Wort hervorzubringen; aller Fassung bar stürzte er auf die Kniee und schluchzte: „Nelson, Nelson!"
„Junge, Du bist offenbar wahnsinnig geworden," schalt der nervöse Lord, „was fabelst Du von der Dogge Nelson?"
„Ich kann's nicht sagen, denn Eure Herrlichkeit werden's ja nie verzeihen!"
Erneute Thränengüsse.
„Ganz Newstead scheint in ein Narrenhaus verwandelt," rief Byron ärgerlich.
Die geisterbleiche, lamentirende Haushälterin stürzte ihm entgegen; alle Rücksicht vergessend, jammerte sie: „Miß Gordon hat Gift genommen."
„Mistreß Marsdon, ich bitte Sie, mir nicht so in die Ohren zu krähen," sagte rauh der angstbedrängte George. Er konnte es vor sich selbst nicht verhehlen, daß er Unglück brachte.
Finster zu Boden blickend stand er einen Augenblick in sich versunken; dann sich männlich fassend, durchschritt er „Kaled's" Wohnzimmer und trat in das angrenzende Schlafgemach. So tief er sich durch und durch erschüttert fühlte, so sah er doch im Nu das theatralisch Aufgeputzte in der Herrichtung des Sterbezimmers: die gelbseidenen Fenstervorhänge waren herabgelassen, alle Kerzen der Girandolen an- gezündet; zu Häupten des katafalkartigen Himmelbettes standen Vasen und Schalen voll blühenden Jasmins; über den Teppich waren zerpflückte weiße Rosen, Jonquillen und Orangenknospen gestreut; betäubender Duft hatte sich der Atmosphäre bemächtigt und versetzte dem Eintretenden den Athem. Unter einer gesteppten Atlaßdecke lag die stöhnende Flora; ihre Züge waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt; mit den Zähnen biß sie vor Schmerz in das Betttuch ; neben ihr auf einem Tischchen stand ein Kelch aus rosa Milchglas mit dem Wappen der Gordons, es enthielt den Rest einer braunen Flüssigkeit.
George glaubte nicht absolut an den Ernst dieses Giftes, und doch war er entsetzt über Flora's Aussehen, sie hatte sich ein Leids angethan, wenn auch nicht gerade ein tödtliches, oder sollte das wilde, überspannte Mädchen doch den Muth gehabt haben, das Aeußerste zu wagen?
Sie sah ihn verglasten Blickes an und schien sein sanftes Zureden gar nicht zu verstehen; vergebens bat er sie, lauwarme Milch, in jedem Fall ein Linderungsmittel, zu trinken; sie stieß die Tasse, welche er ihr reichte, von sich. Als Byron ihre eiskalten Hände an seiner Brust, seinen Lippen Zu erwärmen suchte, ging ein schwaches Lächeln über ihre Züge.
George hätte ohne Besinnen, ohne Zögern das eigene Leben geopfert, um dieses ungeliebte, aber junge, bildschöne Weib zu erretten; dennoch! Sein Herz ging gleichmäßig wie immer, gleichmäßig, als empfinde es weder Angst, noch Spannung, noch Gewissensbisse. Er wurde irre an sich selbst. „Bin ich von Stein?" fragte er sich. Räthselhaft, unzugänglich erschien ihm das eigene Ich.
Er sagte sich nicht, daß er sich in einer falschen Stellung befand; wer ein fragwürdiges Verhältniß ohne Liebe aufrecht erhalten will, geräth in die
peinigendsten Widersprüche und Zerfällt nicht nur mit der Außenwelt, sondern mit seinen ureigensten Ueberzeugungen.
Auf George's Befehl wurden die schwülduftenden Blumen entfernt, die Fenster geöffnet. Draußen regnete es, frischer Erd- und Grasgeruch drang herein.
Der Lord zählte die Sekunden bis zur Ankunft des Arztes; und doch empfand er einige Verlegenheit, den würdigen Familienvater, Mr. Fraser, in das Kaledabenteuer einzuweihen. George spielte so gern den Abgehärteten, und doch war er es so gar nicht; oftmals wurde ihm die Rolle des Widersachers gegen Schöpfer und Schöpfung recht schwer, recht unbequem; er verhehlte sich nicht, daß jeder Unvernunft, jedem Unrecht die Strafe auf dem Fuße folgte, aber wie Don Juan dem „Bess're Dich!" des Steinbildes ein frevles „Nein!" entgegenschleudert, so hatte der junge Lord nur ein stolz verächtliches Kopfschütteln für jedwede Warnung.
„Und soll denn solch' ein junges, hochgeborenes Geschöpf ohne geistlichen Zuspruch verscheiden?" lamentirte Mistreß Marsdon im Vorzimmer. Sie war bisher Flora's erklärte Gegnerin gewesen, nur dem jungen Gebieter zuliebe hatte sie die Kaledkomödie tolerirt, jetzt auf einmal entpuppte sich die kritische Haushälterin als weichherziges Klageweib.
Die jüngeren Dienerinnen waren Flora, über deren Geschlecht sie sich nie getäuscht hatten, dankbar für die äußerst interessante An- und Aufregung. Sie rangen die Hände, sie weinten, waren aber innerlich entzückt. Den Ungebildeten ersetzen Unglücksfälle, die sie nichts angehen, Theater, Cirkus, Lektüre. Sie schwelgen im Ungewohnten. Mischt sich vollends in gewisse Katastrophen ein wenig Skandal, so kennt ihr Enthusiasmus keine Grenzen!
Arthur war allmälig und nicht ohne Mühe bis zu Mistreß Marsdon vorgedrungen; die Haushälterin fühlte sich geschmeichelt, einem so vornehmen jungen Herrn ihr Herz auszuschütten, all' seine Fragen beantworten zu können.
„Ich habe es Mr. Kaled gleich angesehen." berichtete Polly's Frau Pathe, „gleich gestern Abend bei der Heimkehr vom Jägerhäuschen. Euer Gnaden wissen wohl, daß gestern Maifest gefeiert wurde; all' unsere Herrschaften waren draußen. Mylord kehrte bald nach Sonnenuntergang Hein:. Miß Gordon jedoch, — um Entschuldigung! Mr. Kaled wollt' ich sagen — "
„Gleichviel," beschwichtigte Arthur.
„Nun also, Miß Gordon kam später nach Hause in Begleitung der Lieutenants Wingsield und Lang. Vor dem Jägerhause hatte der blinde Waldhornbläser Sam gespielt; der ist Ihnen ein Virtuose, gnädiger Herr! Hört man ihn, möchte Einem das Herz im Leibe lachen und weinen, na, ich sage Ihnen! — Die anwesenden jungen Herren spendeten ihm Lob und manchen Schilling, ebenso Miß, nein, um Entschuldigung, Mister —"
„Schon gut, schon gut."
„Also die arme Miß Gordon, Gott sei ihrer jungen Seele gnädig! sagte ihm ein artiges Kompliment. Das seine Ohr des Blinden ließ sich nicht täuschen, mit tiefer Verbeugung sagte Sam: ,Allzu