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Deutsche Noman-Bibtiothek.
gütig, meine gnädige Dame? Nun gab's ein Gezische! und Getuschel rings umher, sogar an lauten Stichelreden habe es nicht gefehlt. Miß Gordon soll blutroth geworden sein, und, sagen sie, die drei Herren haben ihr mühsam einen Weg durch die Gaffer gebahnt. Ja, ja, John Bull ist gefährlich, wenn er angeheitert ist, ich spreche aus Erfahrung."
Arthur stand in sich gekehrt, er dachte an Edward, an Flora's Cousin; sollte man ihn herbei- rnfen, sollte man es vermeiden? Halb wie im Traum vernahm er, wie die respektable, kleine, dicke Frau im schwarzen Seidenkleide und weißen Schürz- chen weiter sprach:
„Miß Gordon nahm am gestrigen Diner oder vielmehr Souper nicht Theil. Muffy, das Stubenmädchen, fand heute Morgen ihr Bett unberührt. Das arme junge Blut, — das heißt das Fräulein ist vier bis fünf Jahre älter wie Mylord! — scheint während vergangener Nacht aus ihrem Sammethabit gar nicht heransgekommen zu sein. Heute früh ließ sie sich eine Tasse Thee bringen; ich selbst legte noch geröstete, gut gebutterte Brodscheibchen hinzu; und dann ließ sie den mausfarbenen Pony satteln, und hui! war sie fort. Nach anderthalb Stunden sah ich sie heimkehren. Boatswain und Nelson, die beiden Hunde, sprangen ihr entgegen. Es schien ihr ein unbändiges Vergnügen zu machen, beide auf einander zu Hetzen, ehemals hatte Mylord an dergleichen auch sein Pläsir, doch unterließ er es seit lange, nannte es eine „unwürdige, barbarische" Belustigung; wer sollte ihm darin nicht Recht geben? Die Unglücksdogge Nelson geriet!) in solche Wuth, daß Bob Rushton das wild blaffende Thier mit der Hetzpeitsche vom Kampfplatz vertrieb; jetzt aber ging der Spektakel erst recht los: Nelson entsprang in den Pferdestall und krallte sich wie ein Tiger in den Hals des Rappen, des schönsten unserer Reitpferde. Ach Gott, was gibt es doch für Unglückstage in: Leben! Ich wußt' es ja! Heute ganz in der Frühe lief mir ein weißer Hase quer über den Weg."
„Ist der Rappe verwundet?" unterbrach Arthur die redselige Frau.
„Nur leicht; denn was blieb übrig? Bob feuerte mit einem Terzerol auf Nelson, der grimmig zu beißen anfing. Mylord wird darüber untröstlich sein, — untröstlich! Wenigstens den Verlust Boats- wain's hätte er nicht überlebt."
„Arme Flora!" dachte Arthur seufzend, „Dein nahes Ende meldet man ihm ohne Weiteres; den Tod des Hundes wagt ihm Niemand beizubringen. Hohnlachendes Schicksal, bist du befriedigt?"
Er drückte die brennende Stirn gegen die Fensterscheibe und blickte auf den Rasenplatz hinab, wo Mathews und Jackson, dickgepolsterte Boxhandschuhe und den Rippenkorb ergreifend, zum Faustkampfe schritten.
Der Regen hatte anfgehört, gedämpfte Sonnenstrahlen drangen durch's Gewölk, unbekümmert um Leben und Sterben jagten und tummelten sich Byron's Genossen im Freien.
„Leop ^our tenixer!" (bleiben Sie ruhig und besonnen) hörte Arthur den Fechtmeister rufen, während dieser und Charles Auge in Auge sich bald vor-,
bald rückwärts oder seitwärts um einander herum bewegten.
Obschon Flora's Schlafzimmer nach dem Teich hin lag und kein Geräusch von außen dort hincin- gelangen konnte, so verletzte es doch Arthur, Lebenslust und Kraftübung in so unvermittelter Nähe eines Sterbebettes zu wissen. Daß er selbst, als echter Brite, ein leidenschaftlicher Boxer, Fechter und Turner war, brachte er bei seiner getrübten Stimmung nicht in Anschlag.
„Dem Himmel sei Dank, endlich der Arzt!" rief jetzt Mistreß Marsdon.
Arthur wendete sich lebhaft um und sah, wie die kleine Frau dem feierlich Eintretenden einen tiefen Knix machte; dieß hätte sie selbst an einem offenen Grabe nicht unterlassen.
„Wo finde ich den Kranken?" fragte Mr. Fraser, der ein gutes, intelligentes Gesicht hatte.
„Hier, mein Herr, hier," antwortete in ihrer Verwirrung die Haushälterin.
Arthur war zu hoffnungslos und tief bewegt, um das Komödienhafte der Situation Zn beachten. Ganz und gar sank ihm der Mnth, als Mistreß Marsdon, welche den Arzt begleitet hatte, aus dem Krankenzimmer zurückkehrte und mit thränenerstickter Stimme rief:
„Ach, gnädiger Herr, ich fürchte, der Herr Medikus kam zu spät! Unsere arme Miß Gordon regt sich nicht mehr — Mylord steht wie erstarrt — hört er nun vollends von der armen Dogge, so wird er zur Salzsäule."
Sie zog. ein kleines Neues Testament ans der Kleidertasche und begann mit weinenden Augen zu lesen.
Unter dem Fenster scholl Gelächter, Rufen und Antworten.
„Ich wette zwei Pfund, daß Charles ihn umwirft," schrie Cläre.
„Ich fünf Pfund, daß Mr. Jackson sieg?"
Arthur litt es nicht mehr im selben Raume.
Ohne Zu wissen wie, gelangte er in die Ahnengalerie unter die schwarzen Rüstungen. Nun, die wenigstens lachte:: nicht, sondern standen still und feierlich auf demselben Fleck.
Arthur sank auf einen Sitz, ihm war das Herz zum Zerspringen voll. „Aermster Edward!" wiederholte er fortwährend.
Und dann gedachte er der Tage, wo er, fast noch ein Knabe, schüchtern und verstohlen zur blendenden Erscheinung Flora's emporgeschaut, ihren leichten, schwebenden Gang, ihr wagehalsiges Reiten bewundernd; sie stand, ach, wie deutlich! vor ihm in einem rothen Kaschmirkleide als seine Bohnenkönigin und lächelte dem verliebten kleinen Jungen zu. Aber im Sommer erst: da gab Flora's Großmutter Kinderfeste im Garten, auch die Erwachsenen betheiligten sich daran. Flora war bereits von Anbetern umschwärmt. Arthur mußte sie schaukeln, hoch, immer höher, sie kannte keinen Schwindel, und sie lachte lant und warf den mänadenhast schönen Kops in den Nacken, als Arthur ihr zurief: „Du bist eine Fee! Die Waldfce von Sadlerwells hängt immer zwischen, zwei Stricken, wenn sie in den Wolken erscheint."