Kinder der Flamme von Günther von Freiderg.
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Kinderspiele — Jugendglück!
Und dann war aus Flora Kaled geworden — und nun?
In Betrachtungen und Erinnerungen versunken, vergaß Arthur Zeit und Weile; dem Traurigen schlägt ebensowenig eine Stunde wie dem Glücklichen.
„Auf, Arthur, komm' zum Begräbniß!" rief George Byron den Träumer wach.
Arthur fuhr empor. Der schöne „Wildling", wie Lord Oxford den jungen Gutsherrn von New- stead nannte, schien guten Humors, trug ein Jagdhabit und eine Rose im Knopfloch.
Arthur schauderte vor des Freundes Seelenruhe und Kaltblütigkeit. „Zum Begräbniß?" wiederholte er, seinen Augen, seinen Ohren nicht trauend.
„Beruhige Dich," sagte Byron einlenkend und legte ihm die Hand auf die Schulter, „der Todesengel ist gnädig vorübergeschwebt, Kaled hat sich eine starke Unpäßlichkeit zugezogen, weiter nichts! Das mixtum eomxositum, dessen Ingredienzien der Arzt als Malaga, Zahnpulver und bittere Mandeln erkannte, verursacht heftige Schmerzen, aber nicht einmal eine Krankheit. Es ist heute ,em toller Tag', toller, als Beaumarchais'Komödie! Und nun komm' und versage meiner armen Dogge Nelson die letzte Ehre nicht; sie fiel als Opfer der jüngsten Verwicklungen. Flintensalven eröffnen bereits die Feier . .. In den Park hinab!"
Zehntes Kapitel.
Zrauenprsfile.
Ach, wenn in uns'rer stillen Zelle Die Lampe freundlich wieder brennt —
dann empfinden wir jenes tieferquickende Genügen, welches Faust in seinen schlichten, herzensechten Versen als Abendsegen für die Menschheit ausspricht, und so überkam auch George die Wonne der Einsamkeit, der Beruhigung nach den Wirren des Tages, wenn schon er, seiner Aussage nach, Goethe's Fragment, dem der zweite Theil noch nicht gefolgt war, nicht gelesen hatte.
Da einige der „Ritter", unter Anderen Arthur, Geschäfte halber von Newstead abgereist waren, hatte man aus Rücksicht für sie früher als sonst gespeist und sich hierauf getrennt bis zur Nachtzeit, wo die Schädelbecher wieder kreisen sollten.
Kaled, voraussichtlich mehrere Tage stubengefangen, verschlief einstweilen die Demüthigung, einen Fehlselbstmord begangen zu haben.
Das Arbeitszimmer, worin Byron am Schreibtische saß, war das wohnlichste der ganzen Abtei. Allerdings ging der Geschmack des Jahres 1808 nicht mit einer Anhäufung von Möbeln und besonders rasfinirten Ausstattung zusammen. Trotzdem hätte jeder Poet dieß Winkelchen gerne zum Sanktuarium auserkoren: an den Wänden standen auf Konsolen einige antike Büsten; über dem Ruhebett, welches weiche Seehundsfelle bedeckten, hing ein alterthüm- liches, vergoldetes Kruzifix und ein Schwert in vergoldeter Scheide. Es fehlte hier so wenig an einer kleinen, ausgewählten Bibliothek, als in der Schlafstube, und in einer Ecke standen die unvermeidlichen,
blank polirten Schädel auf fein gearbeiteten, silbernen Gestellen. *
Nannte Byron sein Bettzimmer den „Dschungel", so pflegte er diese stille Klause „das Grab" zu nennen, wohl eher aus dem Grunde, weil er daselbst Andenken, Herzensreliqnien und schwarzversiegelte Briefpakete aufbewahrte, als aus völligem Mangel an Lebenslust; denn das urkräftige Feuer der Phantasie und Leidenschaft überwog in ihm den Menschenhaß und Weltschmerz, so eigensinnig er sich geberden mochte.
Vor ihm lag ein Stammbuch in grünem Maß mit Silberschnitt; es gehörte Arthur King; damals besaßen alle jungen Leute, empfindsame oder nicht, ein Stammbuch. Freund und Gegner mußten Verse aus Macpherson's „Ossian" oder aus Horaz hineinschreiben. Byron hatte versprochen, sich in Spenserstrophen darin zu verewigen.
Auch Charles Mathews hatte seinen „Abt" um einen Spruch, irgend ein knappes Distichon, für ein Siegel gebeten.
Aber George war zerstreut durch seine „Satire", in deren Manuskript er soeben blätterte, diese und jene Stelle mit stiller Schadenfreude und leisem Lachen überfliegend.
„Halt, noch fehlt mir ein Motto," sann er vor sich hin, eine spitzgeschnittene Nabenfeder in's Tintenfaß tauchend, und schnell schrieb er unter den Titel „Englische Barden und schottische Kritiker":
„Ein Kätzchen war' ich lieber, schrie' Miau!
Als einer dieser Alltagsliederleirer."
Shakespeare.
„Dank, alter Will'," frohlockte der zukünftige Beherrscher des britischen Parnaß, „Dank, nun bin ich im Zuge. Ei, was frommte denn unserem Charlie bei seiner jetzigen Herzensstimmung?"
Wieder sann er nach, nur wenige Augenblicke, und mit raschem Federzuge schrieb er auf ein Zettelchen Papier:
„Liebe wird den Weg erspäh'n,
Wo der Wolf sich scheut zu geh'n."
„Und nun zu Dir, guter Arthur!" Er nahm das Stammbuch zur Hand und schaute hinein; es enthielt Sepiabildchen, Schattenrisse, schülerhafte und künstlerische Bleistiftskizzen, sogar einzelne Haarlocken von Schwestern und Cousinen.
George hing mit allen Fühlfäden des Herzens an solchen kleinen, sichtbaren Andenken und dennoch schüttelte er sein prächtiges junges Haupt, als er bei der Studirlampe in dem Büchlein blätterte wie Einer, der zufällig weit ab vom Schüsse steht und die Kampflustigen für Thoren hält.
„Sieh' da," spottete er, Edward Gordon's Namen unter einem Berschen lesend, „Gottes Wort vom Lande! oder vielmehr: mein Rival, mein erbitterter Feind, nach Flora's Aussage! So sehr ich meinen Gott liebe, so sehr hasse und verachte ich das jämmerliche Geschmeiß, welches ihm aus Habsucht dient,
* Unter den späteren Besitzern von Newstead, dem Obersten Weidmann und Herrn Webb, blieben Lord Vyron's Zimmer vollständig erhalten; noch 1872 wurden sie Besuchern geöffnet; die Erlaubniß, die denkwürdigen Räume photographiren zu lassen, wurde nicht ertheilt.