Kinder der Flamme von Günther von Freiberg.
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Reliquien hinein, Du wirst mich hassen Und verabscheuen, daß ich Elender —"
„Nicht doch," unterbrach ihn Byron, der zu seinen Freunden stets großmüthig war, „diese Thränen sind mir wohlthuend, sie schmelzen unmännliches Sehnen, krankhaftes Schmachten aus dem Busen weg und führen das Herz zu heiligen Erinnerungen zurück, die durch nichts, durch keinen Glanz, durch keinen neuen Wahn ausgelöscht werden dürften."
Der Lord nahm die seidenweiche gelbe Locke und preßte sie lange, lange an die Lippen. In diesem Kusse lag eine feierliche, tief rührende Inbrunst, die der Waller dem Gnadenbilde entgegenbringt, der Tempelhüter dem Allerheiligsten.
„Dieß goldige Haar, worauf die lichtesten Schimmer glänzen," begann er nach einem Stillschweigen, „gehörte keinem Weibe an; es ist Alles, was mir von einem Wesen blieb, welches mich mit der Welt und dem eigenen Herzen versöhnt hätte, wenn es —" Die Stimme versagte dem von Seelenpein Ueber- wältigten.
„Armer Freund," sagte leise und liebevoll der staunend anfhorchende Charles. Eine Vermuthung, die ihm bereits vor längerer Zeit einmal aufgestiegen war, wurde plötzlich fast Gewißheit. Dennoch wehrte er sich gegen diesen Gedanken, da er die Jugend Byron's in Anschlag brachte. Denn jene Locke und die damit verknüpft gewesenen Vorkommnisse gehörten einer weiter zurückliegenden Epoche an; seit den letzten zwei Jahren hatten George und Charles im intimsten Verkehr aller Gedanken gestanden, Keiner hatte dem Andern etwas verschwiegen, selbst die Leidenschaft für May war dem Lord kein Geheimniß geblieben.
Byron hatte sich erhoben und war an das Fenster getreten; ein Landregen rauschte senkrecht in den See und ans die Rasenplätze nieder.
„Höre, Charlie, heute ist ein Abend für Geständnisse, Regen und Nebel und das obligate Knarren der Wetterfahne fordern dazu auf, Dir soll überhaupt nichts von meinen Thorheiten und Jrrthümern verborgen bleiben. Die Ohrenbeichte der Katholiken entspricht unserem innersten Herzensdrang, insofern wir Menschen geborene Plaudertaschen sind, — glaube Einer oder glaube er nicht an die Absolvirung des Priesters, an die Nothwendigkeit einer leichten Bußauflegung, — jedenfalls erleichtert es das Gemüth, wenn der Mund aussagte, was in des Herzens Tiefen ruht oder gährt; um wie viel erhebender ist der Gedanke, einem vertrauten, geistig hohen Freunde zu beichten! Also nimm Platz und erfahre die Geschichte einer goldenen Locke."
Mathews umarmte den Freund. „Im Voraus Dank!" sagte er innig.
„Erst zünde Dir eine Cigarre an," forderte George seinen Gefährten auf, „wenn der Zuhörer ein wenig blauen Dunst macht, ist der Erzähler um so wahrhaftiger, und man duldet ja die verwegensten Bekenntnisse, Memoiren und Korrespondenzen ihrer Aufrichtigkeit wegen."
Charles, obgleich kein Raucher von Profession, that, wie Byron ihm anrieth. Boatswain, der an der Thüre kratzte, wurde eingelassen. Der Lord
Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 20.
nestelte sich, halb sitzend, halb liegend, in die Felle des Divans und begann:
„Du warst eben nach Cambridge gekommen, Liebling, und sahst mich von Weitem und fandest mich unausstehlich, weil ich einen grauen Rock zu einem weißen Hute zu tragen pflegte und ein graues Pferd ritt."
„Ein neuer Beweis," fiel Charles leicht erröthend ein, „daß oft — o, wie oft! — kindisches Vorurtheil in begeisterte Neigung umschlägt."
„Genug, wir kannten uns nicht oder vielmehr wir vermieden, uns kennen zu lernen. Schon damals mit sechzehn Jahren führte ich das halb weltliche, halb einsiedlerische Leben, welches mir zusagt, da ich die Monotonie hasse und alles Geregelte mich anwidert. Trotz allem Hang zu Abenteuern blieb ich oft wochenlang in meiner Klause und vertiefte mich in die Bibel, meine Lieblingslektüre —"
„Das heißt, Du redest vom Alten Testament?"
„Allerdings. Oder ich las im Herodot und im Ossian. Auch für Chateaubriand besaß ich eine verzeihliche Schwäche. Das Kolleg besuchte ich ziemlich gewissenhaft. Mein tukt bunter (Leibfuchs) war damals ein gewisser Curzon; besinnst Du Dich auf ihn?"
„Nein, George."
„Er war ein etwas oberflächlicher, doch liebenswürdiger, gefälliger Junge. Du weißt, wie viel ich auf das Aeußere gebe: die meisten Studenten meiner Umgebung hatten Gesichter, aus denen Bestialität herausglotzte. Curzon glich dem schelmisch hübschen kapitolinischen Faun, diesem Idyll in Marmor, wovon Du eine schlechte Kopie dort aus der Konsole stehst, das nahm mich für ihn ein.
„Als Kemble einst uns Mnsensöhne mit einem Gastspiel beehrte, ging ich in's Theater, den Coriolan zu sehen. Mir gegenüber saß Curzon zwischen zwei jungen Damen. Die Eine war hübsch, materiell hübsch, voll und behaglich, blond, mit schwarzen Augen, eine Nymphe des Rubens! Die Andere zarter, fein und vornehm, ein Königstöchterlein aus dem Homer, eine Naustkaa!
„,Verräther!' dachte ich lächelnd, denn ich glaubte ihn su bouus kortuus.
„Drückende Hitze trieb mich im Zwischenakt in das Foyer, Du kennst diese schauderhafte Lokalität, wo man sich um das Büffet nach Erfrischungen drängte. Ich sah meinen ,Leibfuchs' mit zwei Portionen Eiscreme siegreich an mir vorüberstolpern und flüsterte ihm eine Dummheit in's Ohr. Curzon, in seiner frivolen Art, nahm mir dieß nicht weiter übel, sondern keuchte: ,By, da Du mich als Bräutigam ertapptest, mußt Du meiner kleinen Zukünftigen vorgestellt werden. Sie ist sehr niedlich und parliren kann sie aus dem ff'.
„,Bräutigam?! Ein Student?'
,,,Sag' lieber: ein Narr! Aber komm' nur, komm'! Der verwünschte Creme schmilzt sonst, nachher erzähle ich Dir en ästail die ganze Schauermär meiner Verlobung.'
„Ich glaubte steif und fest an eine Mystifikation, wurde aber auf das Angenehmste überrascht, ja hin-
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