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Deutsche Noman-Sibliothek.
gerissen durch die Feinheit und die Lebendigkeit, womit das griechische Königstöchterlein sich über Kemble, seine Schule und über Shakespeare aussprach. Ihr Feuer, ihr Esprit und dabei eine gewisse Unschuld in Anschauung und Ausdrucksweise verriethen ein irisches Naturell. Diese süße Franenblume war bereits Wittwe, welches sie in meinen weit anfgesperrten Augen um so anziehender machte.
„Aber was in aller Welt wollte sie mit Curzon anfangen? War sie in seine hübsche Fratze verliebt? Gefielen ihr seine verdammt blauen Augen, die mitunter anfleuchteten wie Spiritusflammen und momentan über seine Nüchternheit täuschen konnten? War es —
„Charlie, verachte mich, aber ich war eifersüchtig, abgeschmackt eifersüchtig; ich fand es läppisch vom Schicksal, dem unreifen, grünen Jungen eine Emma Lyonna* — eine unbescholtene! — zu gönnen. Als ob ich, der planlos Stndirende, etwas Besseres gewesen wäre! Ich, beinahe drei Jahre jünger als Curzon, ihm in keiner Hinsicht überlegen, weder an Kenntnissen, noch an Erfahrung!
„Von meinem Unwerth durchdrungen, preßte ich die Zähne zusammen und gelobte mir wohlweislich, dem Schicksal eines ,Werther', eines ,Jacopo Ortis' bei Zeiten zu entfliehen und nicht abermals, wie bei Mary Chaworth, von Weitem zuznsehen, wie ein Anderer mein Liebchen zum Altäre führte.
„Daher empfahl ich mich früher, als den Anderen lieb Zu fein schien, und verließ sogar das Theater vor Schluß der Tragödie.
„Curzon, der Thür an Thür mit mir wohnte, polterte nach Mitternacht in mein Zimmer herein.
„,By, meine kleine, närrische Gebieterin ist verliebt in Dich/ sagte der Vornrtheilslose, ,und zwar jusgu'ü w koUk! Hol' der Henker das Malen! Helen pinselt nämlich en mininturk! Sollt' ich je eine Tochter haben — Gott verhüte solch' Familienunglück ! — so dürfte sie nur Baumschlag und Landschaft studiren. Mein Bräutchen behauptet, Du glichest dem Apollo Soundso; nicht dem belvederischen, dem mit der Eidechse, wärst Du nicht ein so erbärmlicher Lateiner und noch hülfloserer Grieche, so würdest Du schon wissen! — Ach, By/ gähnte er, ,es ist ein Kreuz, sich gebunden zu wissen! Heirathe nie, mein Herzensjnnker, man bereut es vorher, nachher, immerwährend/
„Und mir vor der Nase weg trank er den Rest meines kalten Sherrypunsches.
„,Ei, Du seltsamer Kauz/ wendete ich ein, ,thust ja, als zwänge man Dich zu einer Verbindung mit jener wandelnden Grazie!'
„Er gähnte fortwährend, faselte einige Erwiederungen, warf sich der Länge nach auf mein Kanape und schlief im Umsehen wie ein Murmelthier. Ihn Zn entfernen wäre vergebliche Mühe gewesen, ich überließ ihm den Platz und ging in mein Schlafzimmer. Centnerschwer lag es mir auf der Brust wie Othello'n, indem er sagt: ,Thu'ans das Licht!' Mit offenen Augen wälzt' ich mich bis Zum Hellen Morgen — immer sah ich Curzon's Braut vor mir,
* Admiral Nelson's Geliebte.
immer ihren Antilopenleib, ihr liebes, intelligentes Lockenköpfchen — nicht mit stürmischen Wünschen entheiligte ich das süße Bild, nur verging ich vor Sehnsucht, ihr sagen Zn dürfen: ,Laß mich Dir dienen!'
„Und ihn hörte ich nebenan schnarchen! — Als die Sonne durch die Vorhänge meines Bettes schien, hatte ich eine jener Visionen, die Andere im Fieber haben, ich bei vollkommenem Bewußtsein: in einer Biga aus weißem Elfenbein und Gold sah ich mich plötzlich mit Helen, sie im gestrigen, griechischen Gewände, den schmalen Goldreifen im Haar, ich in einem krokussarbenen Mantel, einen dunkelgrünen Ligusterkranz um die Schläfen. Den linken Arni hielt ich um ihren Leib geschlungen, mit der Rechten zügelte ich ein Gespann weißer, gezähmter Löwen und wir fuhren an Tempeln und Hainen vorüber, losgelöst von Zeit und Weile; sie war mein in einer andern Welt, unter anderen Verhältnissen!
„Fleischer brachte Kaffee und heißes Wasser, ich aber jagte, froh und gewaltig, wie ein junger Gott, mit meiner neuen Liebe dahin.
„lieber Tag erfuhr ich, daß mein unzufriedener Glücklicher in der That zu seiner Braut gekommen war, ohne zu wissen wie. Curzon, elternlos, ohne Vermögen, war von einem wunderlichen Oheim adoptirt und erzogen worden. Bei seinem schwachen Charakter hatte es ihn nie Ueberwindung gekostet, sich in die Marotten des Sonderlings zu fügen. Als der Onkel dem Studenten eines Tages kund that, er habe dem Herrn Neven eine Braut bestimmt, jung, reizend, geistreich, — nickte Curzon freundlich zerstreut mit dem Kopfe; halb war er an Schlaraffen- glück, halb an Unterwürfigkeit gewöhnt, und fand es nur eben in der Ordnung, daß Helen der enthusiastischen Beschreibung seines Tyrannen und Wohl- thäters glänzend entsprach.
„Da meine Theilnahme für diese Helen leider nicht abnahm, so forschte ich angelegentlich ihrer Herkunft, ihrem Schicksal nach.
„Curzon's Oheim hatte einen um fünfzehn Jahre jüngeren Bruder besessen, dieser sich aus Leidenschaft mit einem irischen Fräulein, einer Katholikin, vermählt, welches ihm den Haß seiner ganzen Familie zuzog. Um steten Widersprüchen und Reibungen aus dem Wege zu gehen, begab sich der Neuvermählte mit dem Weibe seines Herzens nach Indien, woselbst er nach kurzer, glücklicher Ehe starb. Seine Wittwe, — jene Helen, meine, oder vielmehr Curzon's Helen! — kehrte nach Cambridge zurück wegen Erb- schastsregulirungen. Ihr Schwager, der sonst nur mit Zoologie beschäftigte Oheim und Vormund Curzon's, erblickte zum ersten Male das lilienschlanke Wesen, welches eher einem zur Jungfrau kaum gereisten Kinde, als einer Offizierswittwe glich. Sein Blut wallte auf bei ihrem Anblick. Doch eingedenk unserer Gesetze, welche eine Verbindung zwischen Schwager und Schwägerin als Jncest verwerfen, eingedenk der vielen Dezennien, die ihn, den Hagestolz, von der indischen Peri trennten, blieb ihm nichts übrig, als von vornherein zu entsagen. Er bemühte sich, Helen's finanziell unhaltbare Lage zu verbessern, scheiterte aber am lebhaften Ehrgefühl der