Heft 
(1885) 40
Seite
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Deutsche Nornan-Gibtiothek.

Schauer, vor Ueberraschung und Bewunderung glaubt' ich zu vergehen. Ha! Das war etwas für mich: ein so wunderbares Talent, welches sich der Oeffent- lichkeit entzog! Eine Sonne, die mir Bevorzugtem leuchtete! Dieser Mangel an Gefallsucht, diese Ab­wesenheit kleinlicher Schwächen war mir nie bei einem Weibe vorgekommen. Und doch war sie bei aller Hochherzigkeit eine liebe kleine Thörin, und darum liebte ich sie ja so grenzenlos! Sie hatte kindliche Freude an jungen Katzen, gelben Küchlein, an Pfänder­spiel und Neckereien.

In ihrer damaligen Unbefangenheit ließ sie sich meine Huldigungen gefallen; ich war in ihren Angen ein Kind! Es belustigte sie, wenn ich sie eine .Heliade', eine Sonnentochter nannte oder eine Grie­chin aus der Zeit des Perikles.

Freilich war der Horizont nicht immer wolken­los : Curzon's Benehmen verursachte Helen Verdruß, nicht eigentlichen Kummer, denn sie liebte ihn nicht. Mir wurde seine Nachbarschaft zur unerträglichsten Qual, Alles an ihm verletzte mich: ich konnte es nicht mehr mit ansehen, daß er einen kleinen Feder­teppich, Helen's Gabe unter seine schmutzigen Stiefeln trat, daß er ihr Porträt prahlerisch über seinem Bette aufhing. Genug, ich begann Curzon zu hassen mit der Brutalität der Verzweiflung. Ich hatte nur eine fixe Idee: ihn sterben zu sehen! Und ich erwiederte täglich seinen Händedruck und belachte seine dummen Witze! O Feigheit und Schmach! Es war eine gräßliche Situation.

Eines Morgens erwachte ich in heftigem Fieber; geträumt hatte ich von Galgen und Rad, denn ich glaubte Curzon umgebracht zu haben; da, denk' Dir, Charles, da bringen sie den armen Jungen sterbend in's Haus geschleppt! Bei einer Feuersbruust hatte er löschen helfen und sich tödtlich erkältet in der eisigen Winternacht; er kam nicht wieder zur Be­sinnung; der Arzt stand rathlos an seinen: Lager.

Die plötzliche Aufregung vertrieb mein Fieber; ich warf mich über den erstarrenden, im Tode noch so bildhübschen Gesellen und fühlte Reue und Schmerz und bat ihn unter Thränen und Schluchzen um Vergebung; kein Hauch, kein Pulsschlag mehr, ich konnte ihm nur noch die Augen zudrücken.

Ja, einen tiefen Eindruck hatte sein Ende aus mich gemacht, ich glaubte es durch meine ruchlosen Wünsche herbeigeführt zu haben. Kaum wagte ich, Helen anszusuchen. Indessen, es war unvermeidlich. Unter Einwirkung der verschiedensten Empfindungen bezeigte ich ihr mein Beileid. Ihre Trauer glich mehr einer tiefen Rührung, als einem großen Schmerze. Sie benahm sich vollkommen natürlich, weiblich, ein­fach, ohne Zu heucheln.

Curzon's Oheim nur war nicht zu beruhigen. Stundenlang saß er in dem Zimmer, wo sein Neffe gestorben war.

Und nun verurtheilte mich die Nemesis zu einer Periode erneuter Qualen: dieser Oheim, den ich nie gesehen und den ich mir halb wie Don Quijote, halb wie einen Polterer vorgestellt hatte, dieser Oheim besaß jugendlichste Haltung und den prächtigsten Velasquezkopf, dessen wahrhaft reizende Züge durch silberweißes Lockenhaar nur um so interessanter

wurden. Ich hielt ihn für unbedingt gefährlich im romantischen Sinne des Wortes, und die Sorge, Helen schließlich doch in der Gewalt dieses lebhaften, heißspornigen Menschen zu sehen, versetzte mich in einen Zustand von Raserei, deren ich nur fähig bin!

Indessen, auch diese leidensvolle Episode ging vorüber, und meine thörichten Befürchtungen erwiesen sich als vollkommen unbegründet. Zwischen Schwager und Schwägerin war sogar auffallende Kälte ein­getreten. Curzon sontor verübelte es Helen, daß sie sich nicht hatte verbrennen lassen nach dem Tode ihres aufgezwungenen Bräutigams. ,So gehen Sie wenigstens in ein Kloster/ schlug er ihr vor mit Hamletmienen und Hamletaccenten, .wofür sind Sie denn katholisch?!' Zuletzt führte eine entschieden komische Begebenheit den Bruch zwischen Beiden herbei.

Die .noble Passim/ des trauernden Mannes war nämlich von jeher die Zoologie gewesen; er kaufte allerhand Bestien zusammen; besuchte man ihn, wurde man von Beutelratten, Kängurus und Gürtel- thieren beschnüffelt, gezwickt, beleckt; zufälligerweise sprach ihm Helen von einem Faulthier in Edinburg, welches sie in ihrer lebendigen, amüsanten Weise als großes Kuriosum schilderte. Kaum hörte der Tief­gebeugte davon, so schien er neu aufzuleben und trat sofort eine Reise nach Schottland an. Helen aber, in ihrer Zerstreutheit, hatte falsch berichtet: nicht in der Hauptstadt, sondern in Glasgow hatte sie jenes famose Exemplar gesehen. Curzon senior glaubte sich mystifizirt und bekam die Gelbsucht, ja, er wurde sogar ernstlich krank: wie Andere an znrück- getretenem Fieber sterben, so starb er beinah' an einem zurückgetretenen Faulthier. Diesen .Streich', den Helen in aller Unschuld herbeigeführt hatte, ver­mochte er nicht zu vergeben, was nun vollends die Lachlust der .Sounentochter' reizte. Acht Monde nach dem Tode des Neffen heirathete der Velasquez­kopf seine Haushälterin, ein garstiges, böses, keifen­des Weib."

Dieß war vorauszusehen," meinte Charles Mathews,aber Du, George?"

Selbstverständlich wurde meine Intimität mit Helen immer größer; ich hatte Pagendienste genom­men an ihrem Hofe, ihrem Duodezhöfchen, das mir doch lockender war als Carltonhouse! sie ver­hätschelte mich, war zutraulich zu mir, aber weit entfernt, mich wie ein Kind zu behandeln. Fast in Allem fragte sie mich um Rath und Meinung; mich zu beherrschen nach Frauenart, kam ihr gar nicht in den Sinn. Bei aller Frische, allem Uebermuth konnte sie ernst sein und sich mit mir in Gespräche vertiefen, die im Allgemeinen außer dem Bereiche der Frauen liegen. Schmollte ich 'mal und sagte wie ein alter Griesgram: .Gebt den Evastöchtern einen Spiegel und gebrannte Mandeln, so werden sie zufrieden sein/ dann konnte sie nur traurig, nicht erzürnt aussehen.

Auf den verstorbenen Curzon kam seltener und seltener die Rede zwischen uns. Ueber Helen hatte Wohl überhaupt kein Kummer, keine Sorge aus die Dauer Gewalt. Dazu Wohute ihr viel zu viel feuriges Leben inne.

Du kennst meine Vorliebe für alle Einsamen,