Kinder der Flamme von Günther von Freiberg.
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für Menschen ohne Geschwister! Helen war nur die Stiefschwester der Rubensnymphe; ihre Gönnerin, die Herzogin von Devonshire, hätte gern meine süße, kleine, dramatisch begabte Herrin in die große Welt hineingezogen, aber gesellige Erfolge waren dem genialen, schönen Weibe gleichgültig; spielend warf sie mit ihren Talenten um sich, ohne sie irgendwie znm eigenen Vortheil auszubeuten. Selbst ihre Fächermalerei hatte sie anfgegeben, seit sie mich kannte, sie malte nur noch den exaltirten Knaben George Byron. Und sagte ich dann von einem dieser Porträts: ,Es ist zu sehr geschmeichelt/ dann entgegnete sie: .Ich sehe Sie so/
„Nie geahnter Zauber lag für mich in ihrer exzeptionellen Stellung, dieser halb damenhaften, halb künstlerischen. Da war kein Schwall unnützer Dienstboten; ich hörte keine Klage über die Last einer großen Häuslichkeit; allen Jntriguen und Klatschereien entzog sich die kluge Schöne, indem sie nur mit wenigen Personen verkehrte. Herrenbesuch empfing sie gar nicht mehr.
„Die Trauerkleider hatte sie mit sanstfarbigen Gewändern vertauscht; am liebsten sah ich sie in den weißen Hauskleidern, für mich schmückte sie sich zuweilen mit irgend einem prachtvollen Geschmeide, welches die Herzogin ihr schenkte und eigentlich mit Helen's Garderobe in keinem Verhältniß stand. Mir steigerte sich dadurch der phantastische Reiz ihrer Existenz. Dann improvisirte ich Verse, vor Freude schrie sie laut auf, das kindische Lallen meiner flatterhaften Muse zu wirklicher Poesie verklärend. Sie wußte so viel Hübsches, sie sagte mir, daß die Orientalen die Dichter ,Kinder der Flammt nennen. Wie Du, Freund, und wie gestern das Zigeunerweib prophezeite mir Helen eine Zukunft als Poet; auf Little's* .Irische Melodieen' zeigend, sprach sie mit wnndertiefcr Liebe im Blick: .Mein kleiner Lord wird größer werden, als dieser hier/ Ihr Gedächtniß, ihre Belesenheit grenzten an's Unglaubliche. Manchmal hatten wir literarische Duelle miteinander auszufechten: sie pries unsere .Seeschule', ich zuckte die Achseln darüber. Coleridge's Hymne an die Freiheit ging ihr, der Tochter eines unterdrückten Landes, über Alles, und dann Wordsworth! Oft siegte sie und bekehrte mich zu gewissen Liedern und Strophen. Von meinem Liebling Pope wollte sie gar nichts wissen, und darüber konnte ich in wahre Wuth ge- rathen und biß einmal aus einer ihrer Theetassen ein Stück heraus vor lauter Rage.
„Diese Tasse! Noch seh' ich sie vor mir! Aus dem Unterschälchen standen in goldenen Buchstaben die mir anfangs räthselhasten Worte: .bist du mir!' Helen lachte über meine Verblüfftheit, als ich dieß las, und deutete auf den Tassenkopf. .Betrachten Sie doch die Blume, die darauf gemalt ist/ sagte sie, ,es ist die Blüte der Jelängerjelieber/ ,AH so: je länger, je lieber bist du mir!' Fortan war die Tasse meine Mundtasse bei den Schwestern. Als ich sie mit den Zähnen muthwillig Zerbrach, verbarg die Rubensnymphe keineswegs ihre Entrüstung über meinen Exzeß; ineine schöne Freundin aber rief lebhaft:
.Gerade diese Heftigkeit gefällt mir an Lord Byron; wer nicht Unart hat, hat nicht Art/ In jeder Hinsicht war sie nachsichtig und himmlisch gut zu mir, obschon sie von aller Welt zu hören bekam, daß ich ein fehlervolles Ungeheuer sei; bereits Curzon hatte hinter meinem Rücken nie anders von mir gesprochen wie von einem Taugenichts, .mit sechzehn Jahren schon flatterhafter wie Theseus und Lovelace'.
„Ihre Feinfühligkeit ließ sich durch solche Verleumdungen nicht beirren.
„Von einer Liebschaft war zwischen uns keine Rede, obwohl wir zusammen en eoguetterie waren; mehr noch: wir konnten uns gegenseitig nicht entbehren, mußten uns täglich sehen. Mit welchem Worte bezeichnet man solch' ein Verhältniß, wo die Gedanken sich fortwährend begegnen, aber die Lippen keine Küsse tauschen? — Liebesfreundschast möcht' ich es nennen.
„Platonische Liebe ist wieder ganz etwas Anderes: die nährt sich von Briefen, von Phraseologie, von der Luft. Helen und ich wußten nichts von Entsagung.
„Geht nicht jeder großen Leidenschaft eine Epoche der Tändelei voraus? Man balancirt auf Sonnenstrahlen, schaukelt sich auf Blumen und spielt mit bunten Seifenblasen.
„Wir hatten uns eingesponnen in ein reizendes Phantasieleben; für Helen war ich nicht der unreife Student von siebenzehn Jahren, sondern ein Wesen, welches sie mit goldenen Märchen umwob, Zum Beispiel der Sohn einer Sylphe und eines Meermannes, davon leitete sie meine unbezwingliche Sehnsucht nach der See, meine Lust am Schwimmen ab.
„Manchmal saß ich ihr zu Füßen und wagte, den Kops an ihre Kniee zu lehnen; sie streichelte mein Haar und flüsterte: .Wie lieb' ich diese gebietenden Brauen, diese sanft aufgeworfenen Lippen!' Das war zu viel für mich; furchtbare Unruhe und Reizbarkeit bemächtigten sich meiner, ich brach in Thrä- nen ans.
„Doch solch' ein Paroxismus ging vorüber wie Regenschauer an Sommertagen.
„Blieb ich zu spät in die Nacht hinein, trieb sie mich mit liebkosenden: Schelten von dannen, aber ich ging nicht mehr, ohne ein Schleifchen ihres Häubchens, eine Blume ihres Straußes mitzunehmen; sogar eine lange, lauge seidene Locke hatte sie mir nicht verweigert.
„Ein Wendepunkt meiner Empfindungen, gleichsam ein Erwachen aus monatelanger, unbestimmter Träumerei, trat zufällig ein: die Herzogin fuhr plötzlich eines Tages bei Helen vor, als ich dieser eben zu einem Bilde saß. Mit einem Satz entsprang ich in das Nebenzimmer, der alten Zierpuppe fluchend, die unser tete-u-tete störte. .Unart, so bleiben Sie doch!' sagte Helen, aber schon trat die geschminkte, mopsgefolgte Hoheit ein.
„Ich lauschte und blinzelte durch die Thürspalte, recht wie ein Schulbengel.
„Anfangs war nur von Toiletten die Rede, später von der Trilogie des Beaumarchais: .Der Barbier von Sevilla', .Figaro's Hochzeit', .Die schuldige Mutter'. Aus ihrer Bonbonniere naschend,
* Thomas Moore's Pseudonym.