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Deutsche Nom
bemerkte die Herzogin, das tragische Element in dem dritten Schauspiel störe sie und passe nicht zu der Leichtigkeit und frivolen Grazie der vorhergehenden Stücke. ,Ein wahrer Unsinn, diese Gräfin Almaviva, welche es mit dem Pagen an tragigns nimmt und als gefallenes, reuevolles Weib in der „schuldigen Mutter" auftaucht! Jst's denkbar, einen Cherubim, einen lüderlichen Jungen von höchstens siebenzehn Jahren zu lieben? Leidenschaftlich zu lieben?'
„Mir lief das Blut heiß zum Herzen, als ich Helen bei diesen Worten erblassen und in Verwirrung die Augen Niederschlagen sah.
„Hatte die alte Schachtel, die Devonshire, aus Bosheit jene Bemerkung gemacht? Wollte sie uns warnen? Gleichviel! Das auffallende Verstummen der sonst stets muthwilligeu Helen, ihr flammendes Erröthen, welches der Todtenblässe folgte, dieß Alles offenbarte mir ja rückhaltlose, wahre Sympathie und Liebe, tiefinnerste, mächtig hervorqnellende!
„Mit überwältigten Sinnen schwankte ich einen Schritt zurück und fiel ans einen Sitz; ein Freudenblitz hatte die Nebel, die mich verschütteten, zerrissen.
„Drinnen im andern Zimmer war man zu einem andern Gesprächsthema übergegangeu.
„Ich mußte in's Freie hinaus, Lust cinathmen, mir war das Herz so übervoll! Um den Ausgang zu erreichen, mußte ich Helen's Schreibkabinet passiren, einen winzigen Raum, der fast nur einen Sekretär und zwei Sessel enthielt; dort pflegte ich oft meine Briefe zu beantworten, das Löschblatt von Helen's Portefeuille mit sinnlosen Sinngedichten und flüchtigen Aufzeichnungen bekritzelnd. Im Vorübergehen fiel mir einer meiner Zettel in die Augen; ich las darauf: ,11 est swgulier gus js n'ai jamaw äösire 86rieus6-
Eirt UN6 0Ü086 8ÄI78 l'odtenir tzt 8LN8 m'en rspantir axre8.'
„Unkluger Knabe, dieses Bekenntniß schwarz aus weiß einer Geliebten, bevor man ihrer sicher ist, zu geben! Ich zerriß den Zettel und eilte, mich auf's Pferd zu werfen. Hei, wie ich mich tummelte, froh meiner Jugend, meiner Kraft, des erwachenden Frühlings! Schön und heimatlich erschien mir die oft geschmähte Umgegend unserer Universitätsstadt, aus den schmutzigen Wellen des Cam kicherte es nixenhaft, glückverheißend empor.
„Erst am folgenden Tage könnt' ich Helen aussuchen. Siehe da, es hagelte in die Blüten hinein, Glatteis war gefallen, fast mit Lebensgefahr erreichte ich die Wohnung meiner »lilienarmigen' Freundin. Diese hatte mich nicht erwartet in Folge einer Verabredung, welche ich, trunken von Glück und Seligkeit, vergessen hatte. ,Jch muß zur Herzogin/ sagte Helen.
„,Bei dem Wetter?'
„,Aber Sie wissen doch, daß heute ihr Geburtstag ist!'
„Und im selben Augenblick hörte ich einen Wagen Vorfahren.
„Jetzt erst sah ich, wie allerliebst Helen gekleidet war, eigentlich wie zum Balle: sie trug eine Tunika aus lila Seidengaze mit mattgoldenen Borten a. 1a Zreegus, dazu goldenen, genuesischen Filigranschmuck, durchsichtige, leichte Zierde, welche für die wärmere Jahreszeit wie geschaffen scheint; ein Collier aus
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Schmetterlingen umgab den schlanken, schön modellirteu Hals, in den Locken über der Stirn wiegte sich seitwärts ebenfalls ein Schmetterling. Ich fand sie blendend, verführerisch, aber viel zu kokett gekleidet; dem Blicke erwachender Eifersucht schien das lila Kleid zu kurz, schienen die Sandalenschuhe aus Atlaß, die durchbrochenen Strümpfchen zu aufregend.
„Deßhalb schaute ich finster, drohend, statt ihr ein artiges Kompliment zu sagen.
„Sie war befremdet durch mein sonderbares Benehmen, steckte noch einen Strauß seltener Cyclamen in den Ausschnitt des Kleides und wollte, »Zooä nlZllt' und ,aus Morgen' rufend, zur Thüre hinaus.
„Ich vertrat ihr den Weg und sagte mit einer Entschiedenheit, die mich selber fast erschreckte: »Sie gehen nicht zu dem verwünschten Feste!'
„Mer Apollino!!'
„»Weil ich sonst rasend werde und mich unter die Räder des Wagens werfe. Helen, Sie kennen mich noch nicht! Bei Gott nicht!'
„,O/ lachte sie etwas gezwungen, »ich weiß, daß mein kleiner Lord ein Dämon ist, den man gelegentlich fürchten muß. Nun, — ist's gefällig, Raum zu geben?'
„,Aus diesem Zimmer kommen Sie nicht hinaus/ versicherte ich mit scheinbarer Kaltblütigkeit, indem all' meine inneren Fibern zuckten, ,wer von uns ist stärker, schöne Dame?' Ich ergriff ihre beiden Hände auf die Gefahr hin, ihr weh zu thuu, und zog mit den Zähnen die Schmetterlingsnadel ans ihrer Frisur — um die war's geschehen! Sie stieß einen leichten, graziösen Schrei aus über meine Wildheit, und wie die dunklen Haarsträhnen so plötzlich über ihre Schultern sielen und ich meine Stirn badete in den weichen Dustwellen . . .
„Sie schalt, sie wehrte mir, aber — als echte Tochter Erins! — lachte sie auf in neckischer Lust trotz aller Verlegenheit und Empörung, ich haschte sie und riß ihr Collier und Spangen ab; sie sprang nach ihrem Halsband, suchte ihre Alpenveilchen zu schützen, unterdessen rief ich aus dem Fenster hinab, der Kutscher könne fortfahren, man bedürfe seiner nicht mehr.
„Helen war sprachlos, so hatte sie mich nie gesehen.
„Es kam zu einem Wortwechsel, der jedoch von beiden Seiten mehr künstlich gereizt, als ernstlich grollend geführt wurde. Darauf wollte sie mich allein lassen und sich schmollend einschließen; ich drückte die Federleichte auf das Sopha nieder, mich freuend meiner Kraft, gegen welche die Zarte machtlos war, nannte sie »Schlange — Circe — Lilith!'
„»Wer ist Lilith?' fragte sie, als ob nichts vorgefallen wäre.
„»Lilith ist Adam's erste Frau, die ihm zu schön, zu mächtig, zu bedeutend war und die er verstieß, um die fügsame, hausbackene Eva oder Heva zu nehmen/
„Helen schlug die Hände über ihrem zerzausten Köpfchen zusammen. »Gerechter Himmel! Also gleich die erste Ehe eine Mesalliance! O Männer!!'
„,O Frauen!' gab ich zurück und wickelte ihr üppiges Haar in Spiralen um ihre kleine, intelligente Stirne, diademartig, wie die römischen Kaiserinnen