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Deutsche Noman-Bibliothek.
allerdings bequem entschlüpfen, sobald es uns gefällt. Wie anders war dieß hier! Es war ein so echtes, seltenes, harmonisches Glück, daß ich fühlte, wie ich dadurch geläutert wurde, und mich sehnte, dieß Glück am Tage meiner Großjährigkeit öffentlich zu legi- timiren.
„Unterdessen hüteten wir unser Geheimniß im Verborgenen. Mit tiefster Rührung, Zärtlichkeit, ja Andacht blickt' ich auf Helen wie aus eine schwärmerisch geliebte Gattin. Sie wollte zwar in ihrer idealen Selbstlosigkeit, bei ihrem Mangel an Ehrgeiz nichts für sich in Anspruch nehmen, nicht den Titel einer Lady Byron, nicht meine äußere Freiheit. ,Ein Genie wie mein kleiner Lord darf sich nicht binden,' sagte sie.
„Immer blieb sie liebreizend, schön, graziös und beklagte sich nie, während sonst die Frauen, eitel und egoistisch, in ähnlichen Verhältnissen durch Launenhaftigkeit und Nervenschwäche die Geduld der Männer auf harte Proben stellen. Wie herzhaft sie mir Alles zu verbergen suchte, was mich vielleicht mit banger Ahnung, mit Sorge erfüllt Hütte! Dann kam eine Zeit, wo sie gegen Schreckhaftigkeit und Hinfälligkeit nicht mehr ankämpfen konnte, und ich wurde vor Liebe um so närrischer. Es entzückte mich, wie sie ohnmächtig wurde, als ich mich einmal in den Finger schnitt, — weißt Du, Charlie, eine gewisse physische Schwäche am Weibe versetzt mich in Anbetung! So sehr ich Flora's erlogene Schwindsucht, ihre einstudirten Zuckungen persiflire, so nahe geht mir das geringste Erblassen eines wahrhaftigen Wesens. Dann durch Liebesbeweise trösten, lindern zu dürfen — gibt es Süßeres ans Erden? Es gelang mir, Helen mit all' der Freude und Zuversicht zu erfüllen, mit der ich in die nächste und in die ferner liegende Zukunft blickte. Und so vermochte keine Melancholie in ihr aufzukommen, wenn schon ihr Lächeln elegischer, ihr Blick weich verschleiert war.
„Durch eine Fügung des Schicksals waren wir seit der Intimität unserer Beziehungen ganz allein, ganz nur auf einander angewiesen, Helen's Stiefschwester befand sich mit der Herzogin von Devon- shire in Italien.
„Von überraschender Güte und Zartsinnigkeit benahm sich meine Mutter, in der ich leider sonst öfter eine Feindin als eine Beschützerin habe! Ohne
mich im mindesten zu verletzen, ja, ohne mich irgendwie mit Helen in Beziehung zu bringen, erbot sie sich, das Kind, welches meine Freundin unter dem Herzen trug, zu sich zu nehmen und ihm alle erdenkliche Sorgfalt angedeihen zu lassen. Mein ,Upas- baum', wie ich Mistreß Byron Wohl oft genannt hatte, träufelte kein Gift mehr, nur Honig! Und da leugne Einer, daß Mutterliebe, selbst in trotzigen, harten Frauen, nicht die mächtigste Empfindung sei! Denke nur, Charles, meine Löwin, die mir oft vor Wnth fauchend gegenüber gestanden, deren Liebkosungen mir fürchterlicher gewesen waren als ihre Züchtigungen, sie wurde ganz kindisch und konnte den Tag nicht erwarten, wo der kleine ,William' ihr gebracht würde; denn Uttls William müsse er heißen, bestimmte sie.
„Und ich war so glücklich, so selig — auch ich liebte schon abgöttisch das süße Unterpfand zukünft'ger Freuden; in Gedanken tändelte ich mit meinem Sohn, kniete vor ihn hin und nannte ihn: mein Lamm, meine Erlösung.
„Und ein Knäblein war's! Goldlockig, weiß und rosenroth, wie aus dem Dufte einer Blume geschaffen; auch Helen frisch wie eine Rose!
„Raffinirt grausam ist das Schicksal! Erst lügt es uns Erfüllung vor, dann zertrümmert es uns; nach vierundzwanzig Stunden wurde Helen vom glühendsten Fieber dahingerafft, mein Elfenkind, mein Lämmchen lebte nur vierzehn Tage lang.
„Helen — William dahin!
„Und ich blieb zurück im wahnsinnigen Schmerz über den doppelten Verlust, der mich vernichtete.
„Kaum neunzehn Jahre alt und so vereinsamt!!
„Ich habe Nächte durchweint an beiden Gräbern, nach dem Kinde und seiner süßen Mutter geschrieen.
„Dann siegte die Lebenskraft über Gram und Verzweiflung; ich fand Dich, Charles! Du entrissest mich der Trägheit, Du schlugst neue Funken aus meiner Seele! Manna in der Wüste war mir Deine Freundschaft! Du warfst Dich mit mir in die Wellen des Cam, jagtdst mit mir auf schnaubenden Nossen dahin, drücktest mir das Rappier in die Hand und hast mit mir gerungen, Brust an Brust! Die heißen Anforderungen der Jngendtage traten wieder in ihre Rechte. Und nun hinab, zum Wein, Kamerad! Laß uns allen Jammer vertrinken bis es tagt!"
(Fortsetzung folgt.)
Aus der neuen deutschen §yrik.
Morgen am Rheine. Von H. PUaß.
(Ungedruckt.)
Im silbernen Morgenschleier Ruht der träumende Rhein, Leichte, schwebende Nebel Hüllen den Schlafenden ein.
Leise rauschen die Wellen, Ueber der Berge Grau Leuchtet die Morgensonne Auf den blendenden Thau,
Scheucht mit wärmendem Hauche Ab den wogenden Flor,
Hell mit glänzendem Auge Strahlet der Spiegel hervor;
Und im innigen Kusse Einet sich Sonne und Rhein, wie mit rosiger Lippe Sich der funkelnde wein.