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Deutsche Noinan-Sibliothek.
den verstorbenen Sohn des bösen Lord William Byron darstellte: ein Pastellporträt jenes srüh Dahingeschiedenen befand sich in den unteren Zimmern von Newstead-Abbey.
„Orede, rede, dn bleiches Romangesicht!" hauchte Charles wie beschwörend.
Schwerlich hätte sich der lebensfrohe, von der Gegenwart entzückte Jüngling über dergleichen verwitterten Geschichten den Kopf zerbrochen, wäre nicht seine Einbildung heftig entzündet worden durch den Anblick des deutlich geschriebenen Namens „Rushton", der ihm aus einem Gewirr gänzlich verblaßter Buchstaben in die Augen stach; sein lebhaftes Ahnungs- Vermögen brachte blitzschnell die Geliebte, das heißt, die Geburt des Maiblümchens, mit einer geheimniß- vollen Herzenstragödie, für welche die Briefsragmente bürgten, in Zusammenhang.
Darum biß er so ungeduldig die Lippe und preßte die Hände ineinander, als er die Unmöglichkeit erkannte, diesen ihm so wichtigen Brief auch nur zur Hälfte zu entziffern.
Welche chemische Manipulation hätte der Tinte ihre ehemalige Schwärze wiedergeben können? Hatte die Zeit oder hatten Thränen, ätzend wie Scheidewasser, die Schrift ausgelöscht?
„Nichts Dümmeres, als vor lauter Fragezeichen stehen!" ärgerte sich der verliebte Forscher, „George kann ebensowenig wissen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen diesen Papierschnipfeln und — 's ist znm Närrischwerden!"
Und dabei raunte sein Gewissen ihm zu: „Charles, diese Neugier, dieser Wunsch, abenteuerliche Vermuthungen bestätigt zu sehen, ist Deiner nicht würdig." Aber dann beschwichtigte er die innere Stimme: „May brauchte ja nie etwas davon zu erfahren."
Das Kinn auf beide Hände gestützt, sann er weiter. „Ich will ja nicht an die große Glocke damit, ich möchte sie ihm nur näher bringen! Mag By zugeben, daß manch' reicher Kaufherr, selbst mancher Lord ein Hexchen aus Lancashire heimführte, so rümpft er doch seine schöne griechische Nase dazu! Ist aber die Romantik irgendwo im Spiel, so ist er ganz Enthusiasmus."
Mathews erhob sich, mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab gehend.
„Byron's hübscher Jockey, heißt er nicht gleichfalls Nushton? — oder aber — sagte mir nicht Jemand, war's George selbst? — er sei ein Findelkind, May's Oheim nur sein Adoptivvater? Ob Letzterer nicht Auskunft geben könnte? — Nein, ich Hab's! Ileurslla!"
Charles schnippte vergnügt mit den Fingern.
„Joe Murrey, der alte Murr, muß herbei! Was mag sein verwittertes Matrosenhirn nicht Alles bergen! Durch ihn allein kam das vertrakte Zimmer wieder zum Vorschein; er wußte, daß man es vermauert hatte. Wohlan, ehrliche alte Haut, bezopfter ,Ad- mirall, sei mein Wegweiser, deute meine Holzwegträume, reiche mir den Ariadnefaden — bah, auch ich gerathe in die Mythologie zurück, es ist ansteckend, hahaha!"
Fröhlich wie ein Kind lachte der Schlaflose. „Murr, wo find' ich Dich." — Charles zog seine
Taschenuhr, drückte an ihrer goldenen Kapsel und schaute auf das buut emaillirte Zifferblatt. „Drei Uhr Morgens! Ich muß mich gedulden. Ist das ein Kreuz, so warten zu müssen!"
Im selben Augenblick klopfte es an die Thüre. „6om6 in!" rief Mathews überrascht.
Lord Byron, ein brennendes Licht in der Hand, trat ein. „Sage mir, Liebling, was ist Dir? Warum rasest Du über meinem Kopfe ans und ab wie ein Löwe im Käfig?"
Der „Liebling" stand verlegen vor dem jungen Schloßherrn. Die Befürchtung, ausgelacht zu werden, hinderte ihn, Alles frei heraus zu sagen.
„Vergib, George, Dich so gestört zu haben, — Du schläfst ohnehin zu wenig — ich — nun, ich überlegte, aus welche Weise —"
„Deine May am bequemsten zu entführen wäre?"
„Vielleicht."
„Dacht' ich's doch!" sagte halb seufzend der Lord. Seinen rechten Arm um Charles' Schulter legend, fügte er hinzu: äoai^, ich bin klug genug.
Dich an keiner Dummheit zu verhindern, nur nimm Dich vor einer übereilten Heirath in Acht."
„O Mentor!" versetzte Charles, seine Ungeduld bekämpfend.
„Denn die Ehe ist nicht die nothwendige Konsequenz der Liebe und nur zu selten ihre Apotheose."
„Du sprichst wie ein Buch! Aber warst Du, als Lord und Peer, nicht gesonnen, Helen zn heirathen?"
„Immerhin war sie aus meiner Sphäre!"
Mathews' Stirn verdüsterte sich; schnell ableukeud sagte Byron: „Wie wäre es, wenn wir beiden Nachtwandler ein Boot bestiegen und dem Sonnenaufgang entgegenfchifften? Olä llos rudert uns, zum Schlafen ist noch Zeit genug."
Da leuchteten Charles' Augen.
„Gern!" tönte sein Ruf. „Aber erkläre mir nur, By, wann schlafen eigentlich Deine Diener!"
„Wann's ihnen gefüllt; sie lösen einander ab."
„Ein Wörtchen noch, lieber Abt: autorisirst Dn mich, den alten Joe Murr nach dem geheimnißvollen, boisirten Zimmer zn fragen?"
„Nach Blaubart's Kammer? O, Du Kinderseele! Frage, mein Junge, frag', so viel es Dich gelüstet. Nur wird es weuig fruchten: Murr ist treu wie Gold, aber unbeholfen im Sprechen."
Mit wenigen Worten theilte Charles seinem Freunde die Entdeckung der vergilbten Briefe und des Miniaturbildes mit. Von seinen geheimen Vermuthungen schwieg er.
Beide Jünglinge begaben sich an das User des Teiches hinab. Dort harrte Murrey, der alte Diener, der nie stille stehen konnte, sondern immer von einem Fuße auf den andern trat, — eine Angewohnheit der Meisten, welche lange auf schwankenden Schiffen gehaust.
Draußen war es angenehm dämmerig und kühl, die Farbe des Wassers, der Bäume, der Wolken gedämpft, ein Stimmungsbild, wie geschaffen für koloristisches Raffinement, für Turner, diesen Vorgänger Böcklin's.
„Ich möchte ein wenig schwimmen," äußerte Byron, als das kleine Boot am Badehäuschen vorüber kam.