Heft 
(1885) 42
Seite
985
Einzelbild herunterladen

W

t-D,

M

WM

s>»S-

Frvölfier Aahrgang.

Wöchentlich Eine Nummer. Preis vierteljährlich 2 Mark.

M 42.

Alle Tage Ein ^eft. Preis 35 Pfennig pro Heft.

Die

elty

.O/

Romall

von

Hans Wachenhusen.

L7Ä

^ D

Erstes Kapitel.

;aron Guido, der Sprößling der armen Linie Derer von Oppen­stein, war Waise und ward auf Kosten des Chefs der andern Linie, des Majoratsherrn, in einem süddeutschen Kloster er­zogen.

Seine Lehrer fanden in ihm keinerlei Anlage oder Trieb zu einem weltlichen Beruf, auf den ihn feine Mittel­losigkeit hinwies: die reichen Verwandten kümmerten sich nicht um ihn; er mochte ihretwegen immerhin der Kirche ganz anheimfallen, so war man seiner ledig.

Jndeß gestaltete sich in seinem neunzehnten Jahre Alles plötzlich ganz anders. Der Majoratsherr starb auf der Reise am Typhus; sein einziger Sohn, der ihn begleitet und gepflegt, fiel, heimgekehrt, derselben Krankheit zum Opfer und das Majorat ging auf den ältesten der zwei Brüder der andern Linie, auf Guido von Oppenstein über, einen von der Kloster­luft und Kost bleichen Jüngling von schlankem Wuchs, schmalem, interessantem Gesicht, geistvollen Augen und dazumal kurz geschorenem, krausem braunem Haar, unter welchem sich eine von eingesunkenen Schläfen flankirte Grüblerstirn wölbte.

Der Abt des Klosters widmete dem Zögling so­fort die gebührende Berücksichtigung; er erwartete von der weichen, schwärmerischen und schlaffen Ge- müthsart desselben einen Akt hochherziger Dankbarkeit;

Deutsche Roman-Bibliothek. XIl. 21.

Nachdruck verboten. Nebersetzungsrecht Vorbehalten.

auch die Mönche behandelten den ihnen bisher sehr Gleichgültigen mit den größten Aufmerksamkeiten, um ihn bis zu seiner Mündigwerdung zu fesseln; der junge Baron schien aber durch diesen Wechsel plötzlich aus seiner Apathie erwacht zu sein.

Mit der größten Feinfühligkeit und Bescheiden­heit ließ er durchscheinen, daß er, sich der Vortheile, welche ihm so unerwartet das Schicksal gewährte, vollkommen bewußt, vorziehe, seine ferneren Kennt­nisse auf einer weltlichen Hochschule zu sammeln, sich vorbehaltend, dem Kloster seinen Dank zu be­zeigen, sobald er freie Hand haben werde.

Der Abt des Klosters, ein Mann aus altem, vornehmem Tyroler Geschlecht und von feinster Schule, dessen Wesen dem jungen Baron stets heimlich als Muster gegolten, bestimmte ihn, einen Laienbruder, der sein einflußreichster Lehrer gewesen, als Mentor mit sich in die ihm noch so fremde Welt zu nehmen, und so verließ denn der Zögling das Kloster, in welchem er unter anderen Umständen vielleicht bis an sein Ende verblieben wäre.

Die Welt, die er vor sieben Jahren, nach dem Tode seiner Eltern, verlassen, lachte dem hübschen, hoch gewachsenen jungen Mann wieder so heimisch entgegen. Mit leidlichen, wenn auch sehr einseitigen Kenntnissen ausgerüstet, über eine Jahreseinnahme ver­fügend, die das Maß seiner ihm bisher bekannten oder ersehnbaren Bedürfnisse um ein Enormes übertraf, und verlangend nach dem, was ihm bis dahin in seiner Abgeschlossenheit, im Umgänge mit seinen Kameraden, einigen Söhnen begüterter Landedelleute,

124

«i-

!!: