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Deutsche Noman-Sibliothek.
nur im Traume erreichbar gewesen, wählte er aus den Rath seines Mentors, des Bruder Lorenz, die Universität Bonn, ohne die nöthigen Maturitätszeugnisse mitzubringen.
Jndeß schon hier gerieth er mit seinem Begleiter in Differenzen über die Richtung seiner Studien. Guido von Oppenstein hatte keine Lust mehr an ernstem Lernen, wenn er diese je gehabt; er wollte nippen von allen Wissenschaften. Nur die des Schönen sesselte ihn und an der wollte er sich vollsaugen.
Schon im Kloster hatte er sich die kleinen Ausgaben von Platon und Aristoteles, Petrarca's Laura, Abälard und Heloise und Anderes heimlich aus der Bibliothek des Abtes zu verschaffen gewußt, sie in einem hohlen Baumast der Ulme im Klostergarten versteckt und sich schwärmerisch in diese Bücher vertiest. Der Abt hatte viel in der Welt gelebt; er war von aristokratischer Familie, hatte als Jüngling ein Lieutenantspatent am Hose Franz I. in Neapel gefunden, war mit fünfundzwanzig Jahren, verweichlicht und erkrankt in der Sittenlosigkeit seiner Umgebung, in ein Kloster zu Rom getreten und hatte, kaum in der Soutanelle wieder zu Kräften gekommen, in dieser seine galanten Abenteuer in der Gesellschaft nicht vergessen. Seine Bibliothek legte in dem Zögling einen Grund, auf dem ohne rationelle und kräftige Pflege nichts Gesundes gedeihen konnte.
Guido von Oppenstein hatte unter den wenigen Mitschülern keinen Freund gewonnen. Sie waren grobe, nüchterne Naturen, denen das Denken und Lesen eine Last. Seine Freunde waren des Abtes Bücher und Bilder, er lernte sogar mühselig die fremden Sprachen verstehen, in denen diese redeten, denn der Abt hatte später seine Carrisre auch am spanischen Hose durchgemacht zu einer Zeit, da unter Maria Christina an demselben die größte Zuchtlosigkeit herrschte.
Seine Bibliothek kennzeichnete gewissermaßen die Etapenstraße seines Welt- und Klosterlebens; sie begann, chronologisch geordnet, mit den weltlichen Blüten französischer, neapolitanischer und spanischer Gesellschastsliteratur und in seinem vor- und wieder zurückschreitenden Lebensalter emsig gesammelt, vernebelte sie sich endlich in einer mystischen Tendenz, einem den Materialismus sublimirenden Bilderdienst.
Diesem Kultus dienten auch in den großen, alter- thümlichen Sälen des Abtes alle die kostbaren Oel- gemälde meist spanischer Künstler, die er nach Aufhebung der Klöster gesammelt, eine Galerie von die Tödtung des Fleisches darstellenden Kasteiungen, von Bußübungen biblischer Sünderinnen und wunderlicher Askese, die in dem Knaben, wenn er heimlich in diese Säle schlich, den Hang Zu einem weibvergötternden Mystizismus weckten.
Eine andere Lust freilich umwehte ihn, als er die düsteren Klostermauern verlassen; nur der Bruder Lorenz blieb ihm als lebendige Erinnerung. Er sah Alles leben, streben, in athemloser Jagd nach Zielen ringen, sah die Noth und den Ueberfluß. Was konnte inmitten dieser hastenden und jagenden Welt sein Ziel, sein Streben sein? Er hatte Alles und mehr als erbrauchte; man hatte ihn nicht den
Ehrgeiz gelehrt und des Erwerbens schien nichts ihm werth; er hätte es auch nicht verstanden. Ein moderner Kaspar Hauser trat er in diese Welt.
Seine ganze Erziehung war eine Wem- und ziellose Mönchsdisziplin gewesen; selbst Bruder Lorenz hatte wohl früher eine Mission in Cochinchina, eine andere nach der Südküste Afrikas begleitet, aber auch er war ein unpraktischer Mensch geblieben und die Welt erschien ihm verkehrt, weil er sie nicht kennen wollte.
Guido von Oppenstein hatte anfangs nicht einmal den Sinn, zu finden, was ihm fehle, was ihm behaglich sein könne. Er kaufte Vieles, und wenn er es hatte, ward es ihm lästig, denn er war an puritanische Bedürfnißlosigkeit gewöhnt, und sein Begleiter, Bruder Lorenz, aus einem lombardischen Kloster hervorgegangen, hatte als Bauernknabe auch keine Ansprüche gelernt.
Er machte an der Hochschule die Bekanntschaft seiner Kommilitonen, theilte aber ihre Gewohnheiten nicht. Geistige Getränke berauschten ihn schnell, und die Uebung in den Waffen ermüdete seine erschlafften Muskeln. Er sah die Anderen den Frauen nach- geheu, bemerkte auch, daß im umgekehrten Sinne der Bibel die Töchter der Menschen nach ihm, dem hübschen jungen Mann sahen; er ward in die Gesellschaft gezogen und studirte den Umgang mit Frauen, aber er blieb befangen, denn er fürchtete sich vor dem Weibe von Fleisch und Blut, obgleich er es verehrte.
Sein Studium bestand darin, von Allem etwas anzuhören; was allein in diesem ihn fesselte, war die Aesthetik auch der neueren Lehrer, aber selbst in dieser blieb er Idealist; er poteuzirte und sublimirte Alles und aus seinen Idealen wurden also Idole. Selbst Aphrodite sah er nur im Sinne Platou's und floh den Umgang seiner Kommilitonen mit ihr.
Bruder Lorenz sah dieß mit wohlgefälligem Auge, denn es hütete den Jüngling wenigstens vor verderblichen Wegen, während Andere, die den jungen Aristokraten in seinem seltsamen Treiben beobachteten, der Meinung waren, es müsse das sein Unglück werden.
Guido, weun er auf diese Weise einmal in Konflikt mit der profanen Welt gerathen, nahm seine Zuflucht zum Harmonium, das er im Kloster spielen gelernt, und das versöhnte seine Nerven.
Als so ein Jahr herumgegangen, ward er mündig erklärt und in den Besitz der großen Güter gesetzt. Er wollte reisen. Bruder Loreuz, der sich mehr mit seinen frommen Büchern, als mit seinem Telemach beschäftigt, machte sich mit ihm ans den Weg und fest vertrauend auf die Unbestechlichkeit desselben, wagte er sich mitten hinein in das moderne Sodom, um in der Bibliothek Mazarin in Paris für seinen Gönner, den Abt, die Abschrift eines berühmten Buches über das Leben der Kirchenväter zu nehmen.
Er saß also den ganzen Tag vergraben in die Schätze heiliger Vorgeschichte und suchte ermüdet Abends sein Lager. Seinen jungen Gefährten sah er wenig, denn er speiste in der Nähe der Bibliothek. Das Leben in Paris nannte er eine Maskerade der Dante'schen Hölle; er sah und hörte in seinem Abscheu wenig davon.