Die tolle Setty von Hans Wachenhuscn.
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Guido von Oppensteiu drängte auch nicht Zur Weiterreise. Ueber ihn war es plötzlich wie ein Taumel gekommen. Ein ihm ganz fremder Athem hatte ihn in dieser Stadt angeweht; eben erst in Besitz enormer Revenuen gelangt, machte ihn die Vorstellung von seinem Reichthum trunken; er fühlte die Verpflichtung, hier als Kavalier aufzutreten. Ein Vetter, der sein Vermögen in Paris verzehrte, führte ihn fast gewaltsam in die Gesellschaft ein und nicht überall in die beste.
Guido empfand, wie seine durch Passivität erschlafften Nerven sich kräftigten, seine Gedanken, seine Vorstellungen, seine Wünsche und Instinkte, sonst so krankhaft und blaß, zogen ihn, ihm selbst fast unbewußt, in die reale Welt. Was er sich oder vielleicht seinem Reichthum zu Füßen liegen sah, waren keine Ideale, aber er ergab sich willenlos den schönen, dämonischen Gewalten, die ihn mit rosigen Armen umschlangen. Nach langem Taumel erst erwachte er krank an Leib und Seele. Vergebens rief er nach seinem treuen Lorenz; er erinnerte sich nur düster, daß dieser ihm eines Tages entrüstet für immer Adieu gesagt.
Ihm war's, als habe ihn Dante selbst bei der Hand genommen, um ihn durch seine Hölle zn führen. Der brave Lorenz hatte Recht gehabt, als er diese Welt hier eine Maskerade der Hölle genannt. Er glaubte am Aschermittwoch zu erwachen. Sein Gehirn, seine Gedanken waren Asche.
Langsam genesend, berechnete er, daß mehr als ein Jahr während dieses wüsten Taumels verstrichen. Er erinnerte sich, in des Abtes Bibliothek von dem jungen Mönch im Kloster Heisterbach gelesen zu haben, der, als er in der Vulgata gelesen, daß tausend Jahre dem Herrn wie eine Nachtwache seien, zweifelnd und grübelnd in den Wald ging und erst nach dreihundert Jahren unter ihm fremden Menschen erwachte. Er hatte an der Macht der Welt über ihn gezweifelt und dieß ganze Jahr erschien ihm wie eine tolle Nacht.
Als er endlich die Briefe lesen konnte, die inzwischen für ihn eingetroffen, fand er ein Schreiben seines jüngeren Bruders Ottokar, der nach dem Tode der Eltern von den Verwandten in ein Kadettenhaus geschickt worden. Sie hatten Beide nie miteinander korrespondirt; was konnte ein Soldat ihm, dem Klösterling, zu schreiben haben! Jetzt aber meldete er ihm, er habe als blutjunger Lieutenant Unglück gehabt; er beschwor seinen Bruder, der doch als Majoratsherr jetzt so reich, ihm zu helfen; er sei sonst verloren.
Der Brief war drei Monate alt. Guido antwortete ihm mit nervenkranker Hand; er sandte Anweisung auf eine bedeutende Summe. Der Brief aber kam zurück; Lieutenant von Oppenstein hatte seinen Dienst quittirt und war außer Landes gegangen, Niemand wußte, wohin.
Die Aerzte schickten den Genesenen jetzt in ein Seebad. Er fand dort Gottes große, gewaltige Allmacht im Rauschen des Meeres, aber im Sonnenschein des Strandes dieselbe Maskerade.
Mit tödtender Leere im Herzen wandte er sich heim nach Deutschland und zog sich in die Einsamkeit
eines seiner Güter zurück. Hier blieb er drei Jahre, die er unter der Pflege bedeutender Aerzte nur der Wiederherstellung seiner Gesundheit widmete. Darnach fiel's ihm ein, das Kloster wieder Zn besuchen.
Der Abt war ein hinsterbender Greis geworden, der ihn nur mit wohlwollendem Lächeln empfing. Bruder Lorenz war kalt und förmlich gegen ihn; er vergab ihm seinen Abfall nicht, selbst als er das Kloster reich beschenkte. Guido von Oppenstein lagerte sich wie damals wieder aus dem Rasen in den Schatten der alten Ulmen, in deren hohle Stämme er einst seine Lektüre versteckt. Er fand, daß er den Glauben verloren habe, nicht den, von welchem Lorenz ihm sprach, sondern den Glauben an das Göttliche im Menschen, an das „Heilige und Ahnungsvolle" in der Frauennatnr, von dem er hier in der weihevollen Stille mit seinen Klassikern geschwärmt. Er empfand Ekel vor dem Materialismus und das Be- dürsniß, jenen Glauben wieder zu gewinnen.
In einer Unterredung mit Bruder Lorenz nannte ihn dieser einen Tannhäuser, der im Hörselberg gewesen; er habe vergeblich sein treuer Eckart sein wollen. Er könne seine Unschuld nur wieder gewinnen, wenn er in das Kloster Zurück trete. Das weltliche Weib werde ihn nie zum wahren Glauben führen, weil es stets zur Sünde bereit und allenfalls nur über diese hinweg zur Erkenntniß komme. Für ihn gebe es nur Rettung bei der allerheiligsten Jungfrau.
Guido lag nach diesem Gespräch stundenlang mit geschlossenen Augen unter den Ulmen des Gartens. Lorenz war bei dem Abt, dessen letztes Stündlein gekommen sein sollte. Und wie er da lag, erschien ihm wie ehedem Petrarca's Laura, die ihm sagte, es wandle diese Jungfrau hienieden, wie sie vor Jahrtausenden schon gewandelt, er möge sie nur suchen.
Er verließ das Kloster mit dem heißen Bc- dürfniß, sich durch seinen Reichthum einen Herd zu gründen, aber es konnte das doch nur an der Seite der Einen geschehen, die an Schönheit und Keuschheit des Herzens seinem Ideale entsprach.
Wieder waren ihm Jahre fruchtlosen Suchens nach dieser Einen verstrichen; er hatte ivohl hier oder dort zu finden geglaubt, aber es hatte ihm der Muth zur Entscheidung gefehlt. So geschah es denn endlich, daß er eines Abends in einer süddeutschen Hauptstadt aus einem Konzert kam, in welchem einige im dortigen Konservatorium ausgebildete Sänger und Sängerinnen aufgetreten.
In tiefen Traum versunken, vergaß er sein Souper und suchte sein Zimmer. Es war ihm etwas Seltsames, Ungeheures begegnet: die Eine der jungen Künstlerinnen hatte nicht nur durch ihre Persönlichkeit, sondern auch durch ihre Stimme eine Zaubergewalt aus ihn geübt, der er mit der Ahnung, endlich doch gefunden Zu haben, nur allzu bereitwillig sich unterworfen, und er hatte den Muth . ..
Ein Antlitz, nicht schön nach den allgemein gültigen Begriffen und den künstlerischen Gesetzen, aber von so wirkender Anmnth und sanftem, duldendem Ausdruck, als fühle sie bereits das Martyrium der Kunst, des schweren Berufs, dem sie entgegen ging; ein Antlitz von himmlischer Milde in den frommen