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Deutsche Noman-Sibtiothek.
dunklen Augen, mit einer Stirn, die nicht nur die Weihe der Kunst, auch das Aufstrahlen eines ebenso frommen, schönen Herzens zeigte und von dem braungelben Haar wie von einem goldenen Diadem gekrönt war; ein Mund, dem die Schumann'schen Lieder wie Psalmentöne entquollen, und endlich eine Gestalt, die in dem weißen Gewände vollendete Grazie und Ebenmaß verrieth.
Sie hatte wohl zwei Dezennien ihres Lebens schon überschritten, ohne an Jngendglanz verloren zu haben; der Ernst ihres Ausdrucks, eine unverkennbare Lebensresignation deuteten daraus. Aber die Kunst ist lang, und Jahre hatten wohl dazu gehört, diese Vollendung zu erreichen. Nur ein Weib, das ganz seiner Kunst gehörte, ihr jeden andern Herzenswunsch opferte, konnte das wahrhafte und innige Interesse errchcn, das ihr namentlich auch die Frauen unter dem Publikum so warm und freudig geäußert.
Guido von Oppenstein fand diese Nacht keinen Schlummer. Schon am nächsten Tage Zog er seine Erkundigungen bei den: Direktorium des Instituts ein. Die junge Dame war aus London gekommen, wo sie bei deutschen Verwandten gewohnt, und schon mit einer bedeutenden gesanglichen Vorbildung. Man schätzte sie als die liebenswürdigste, sanfteste und tugendhafteste Kollegin und Schülerin, prophezeite ihr eine bedeutende Carriore und sprach von einem Kontrakt mit Rio de Janeiro, den sie jetzt nach Vollendung ihrer Studien abzuschließen geneigt sei.
Oppeustein griff egoistisch in die Karriere der jungen Künstlerin ein, indem er ihr seine Hand an- bot. Er war ermüdet im Suchen, und da das Hausgesetz ihm die Eingehung einer Ehe mit einer unbescholtenen Bürgerlichen nicht untersagte, hatte er beschlossen, daß diese es sei und unfehlbar sein solle.
Er fand kein gerade unwilliges Gehör bei der Künstlerin, war aber entzückt durch die engelhafte Sanftmuth ihres Wesens, namentlich durch den Zauber ihrer sausten, schönen Augen. Er wußte nicht, daß diejenigen Angehörigen des Instituts, die es gut mit ihr meinten, ihr zugcredet, sie brauche ja der Kunst nicht Valet Zu sagen als Gattin eines reichen, jungen, liebenswürdigen Aristokraten, und daß dieß sie zum Jawort bestimmt.
Also ward dann der Kontrakt mit Rio nicht unterzeichnet, und Oppenstein überreichte behufs Aufgebots der Kirchenbehörde seine Papiere und die seiner Verlobten, aus denen hervorging, daß Eleonore Lautuer die Tochter eines verstorbenen deutschen Gesanglehrers sei.
Zweites Kapitel.
Während des ersten Jahres seiner Ehe, das er bald in dieser, bald in jener Stadt verbrachte, fühlte sich Oppenstein nicht unglücklich, aber er meinte all- mälig, sich auch nicht glücklich Zu fühlen.
Seine Gattin war sanft und lieb, zu anspruchslos fast, aber er vermißte den Grad der Bildung, den er begehren durfte; er mußte Ansehen lernen, daß zu einem vollkommenen Weibe auch der Geist gehöre, der freilich nur zu oft der Störer oder Vernichter der Vorzüge des Herzens ist. Sie vermochte
nicht, ihm ans seinen geistigen Bahnen zu folgen, und hatte er früher geglaubt, sie bändige durch das sanfte, Züchtige Ausschlagen der Angen ein künstlerisch reges Naturell, so überzeugte er sich bald von der Nüchternheit ihrer Seele, die sich zu keinem wirklichen Einklang mit der seinigen erhob. Sie lernten Beide nicht, sich verstehen.
Hiezu kan: im Laufe der Jahre noch eine Schwer- muth, die dem Gatten nach und nach zu denken gab, ob sie nicht etwa mit ihrer Hand aus Vernunft- gründen ihm ein Herz geopfert, das insgeheim mit dieser Vernunft um eine verlorene Liebe hadere.
Zu seinem größten Schmerz bemerkte er auch, daß sich Leouorens Stimme, die, wenn er sich dem stillen Groll über seine Täuschung hingegeben, ihn immer wieder zur Versöhnung mit sich und der Gattin zurückführte, verlor wie ein langsam versiegender Wunderquell.
Wochenlang entbehrte er ganz ihren Gesang; er sah sie selbst zuweilen trauernd den Kopf senken, wenn ihr die Stimme am Klavier versagte. Er Zog die bedeutendsten Spezialisten zu Rathe, aber der Zauberklang der Stimme kehrte nicht wieder, und langweiliger, eintöniger ward das Zusammenleben auch durch ihre Verstimmung.
Und noch Eins kam hinzu: seine Hoffnung ans einen Erben war umsonst. Das Majorat kam in Gefahr, denn auch von seinem verschollenen Bruder war nichts mehr gehört worden, und wenn er ihr davon sprach, schien sie dieß stets wie einen Vorwurf für sich hiuzunehmen.
Oppenstein kam zu dem Schluß, daß ihre Erziehung die Schuld an dem Mangel geistiger Entwicklung trage; aber je mehr er sich Mühe gab, dieser nachzuhelfen und sie zu wecken, desto weiter sah er seine Gattin hinter sich Zurückbleiben. Wie es gewöhnlich geschieht, begegnete er während seiner Ehe so manchen weiblichen Erscheinungen, an denen er bedauerte, daß sie ihm nicht früher in den Weg gekommen. Er sah Schönheit, Geist und Tugend in bewundernswerther Vereinigung, wonach er doch so vergeblich gesucht; er sah diese Bevorzugten in die Hände von Männern gerathen, welche ihre Tugenden nicht zu schätzen wußten. Er hatte kein Glück gehabt, am wenigsten in jener verhängnißschweren Stunde, in der er so übereilt sein Loos entschieden.
Die tiefe Verstimmung, die er endlich rücksichtslos zur Schau trug, versenkte seine Gattin in eine noch tiefere Melancholie. Oppenstein schwur ein über das andere Mal, dieses Eheleben sei unerträglich. Er war zu sehr Aristokrat aus Instinkt, als das; er es vermocht hätte, einen Konflikt herbeizusühren, er machte sich aber Luft durch ironische Aeußerungeu, in denen er auch sich selbst nicht schonte.
„Es gibt das beste aller Weiber; es existirt ohne Zweifel!" sagte er sich. „Meine unselige Klostererziehung hatte mich nur linkisch und blind gemacht. Was verstand ich von den Frauen! Eine Scheidung von ihr würde meine Denkungsart nicht leiden, selbst wenn meine Kirche sie gestattete; zu einer wirklichen Liebe für mich ist ihr Gemüth zu träge und passiv, es bleibt also nur ein konventionelles Nebeneinander möglich, und da wird sich Keines