Die tolle Betty von Hans Wachenhusen.
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von uns Beiden in Sehnsucht verzehren, wenn wir uns eine Zeitlang nicht sehen."
Den Gedanken Pflegte er jetzt mit Vorliebe. Er überraschte also seine Gattin eines Tages mit der photographischen Abbildung einer modernen Villenbesitzung am Rhein. Er habe dieselbe nach dieser Photographie gekauft, sie müsse sehr schön sein; er schenke ihr dieselbe als ihr Privateigenthum und bitte, sie persönlich in Besitz Zu nehmen, während er eine längere Reise antrete.
Leonore empfing die Nachricht in großer Gemüths- ruhe. Sie wußte seit Jahren, daß er sich in ihr getäuscht fühle und hatte das hingenommen wie etwas, das nicht mehr zu ändern. Auch daß sie ihre Stimme verloren, war ihr weniger schmerzhaft gewesen, da ihr schon die Lehrer im Konservatorium vorausgesagt, daß dieselbe nicht lange Vorhalten werde und sie also für ihre Zukunft bedacht sein solle. Sie lebte eben dahin ohne merkbare Zeichen einer Seelen- thätigkeit.
Als Oppenstein während der ersten Jahre seiner Ehe einmal las, man habe das Experiment gemacht, einer Taube das Gehirn anszunehmen, und dieselbe habe weiter gelebt, rief er boshaft: „Ganz wie meine Frau!"
Jetzt ging er also auf Reisen und lieferte die Gattin in ihrem neuen Besitzthnm ab, ohne dasselbe weiter in Augenschein zu nehmen. Er sagte ihr nicht, wann er zurückkehren werde, und sie fragte ihn nicht. Er wußte selbst nicht, wohin er wolle, es schwebte ihm nur das Bedürfniß vor, sich für irgend eine große Idee thätlich zu interessiren, und diese konnte ihm unterwegs begegnen.
Er fühlte sich keineswegs glücklicher, als er allein war, denn er empfand noch imnier kein Begehr nach den Zerstreuungen, die er Andere suchen sah, aber die Nüchternheit seines ehelichen Lebens hatte in ihm eine geistige Nichtbcfriedigung hervorgebracht, die ihm jetzt bald zur Qual ward.
Wie gut und edel könnte sie sein, wenn durch eine richtige Erziehung, durch Unterricht und sorgsame Pflege die schöneren Instinkte der Weiblichkeit -An ihr heransgebildet worden wären! Der Gedanke begleitete ihn, als er sie nur aus der Ferne sah. Sie kennt nicht die Eitelkeit, die Sinnlichkeit, diese Klippe, an welcher das Weib unserer Zeit in seiner göttlichen Mission scheitert. Sie kennt nicht die Eifersucht, nicht den Eigennutz, nicht Haß, noch Bosheit; ihre Seele ist ein stiller, tiefer See, in dem... leider nichts lebt! Und doch könnte Alles in ihm gedeihen, da Alles elementarisch in und an ihr vorhanden!
Ich glaubte auch anfangs zuweilen einen Hellen Klang zu hören, wenn ich diese und jene Taste anschlug, aber es kam zu keinem Akkord, und so versanken wir Beide allmälig in die Untiefe gegenseitigeil Nichtverstehens; ich ans Ueberdrnß, sie ans Indifferenz, und in dieser begehrt sie offenbar kein höheres Glück von der Ehe. Den Spiegel dieses Sees trübt nichts, aber meine Erwartungen sind klüglich zu Schanden geworden.
Sein Mißgeschick ließ ihn, wie gesagt, noch immer nicht verzweifeln an dem Vorhandensein des „Heiligen
und Ahnungsvollen", an das er einst so fest geglaubt. Mit der vollen Absicht platonischer Untreue, das heißt mit dem Verlangen, dieses Bild der Schönheit und Tugend zu suchen und zu bewundern, selbst wenn er es nicht mehr besitzen könne, steuerte er wieder in die Welt hinein. Mehr als je war ihm das Weib ein Räthsel geworden, über dessen Lösung er grübelte.
Fast absichtslos kam er wieder nach Paris, wo ihn Alles daran erinnerte, daß er hier den Dämon gefunden, während er den Engel gesucht, daß er hier die Reinheit seiner Lebensprinzipien und die Kräfte seiner Jugend geopfert. Er mied die Kreise, die ihm damals so verhängnißvoll geworden, zog weiter, versank in der Provence in Anbetung eines jungen Weibes, in welchem er die Verkörperung aller Tugenden erblickte und dem er mondenlang mit heißem Eifer seine Huldigungen brachte.
Aber während er von Marion, der Tochter eines wohlhabenden Mannes, die höchste Selbstlosigkeit begehrte, war er selbst der Egoist, der sie bewundern zu dürfen begehrte, ohne selbst zur Gewährung im Stande zu sein. Er sah deßhalb sein Götterbild verschwinden, als er zu dem Geständnis; gezwungen ward, er sei vermählt.
Wie es immer zu geschehen pflegt, war ihm das Glück zu finden überhaupt günstig, seit er es nicht mehr zu benützen in der Lage. Entmuthigt hiedurch, seine Fesseln schwerer schleppend als je, sie verwünschend und sich wieder unter ihren Schutz flüchtend, wenn er mit seinem Herzen in Gefahr gerieth, mied er das Weib ganz und konstruirte es sich in seinen Gedanken nach seinem Sinn. Und diese seine Phantasie schuf sich Götterbilder, vor denen er niederknieen, die er anbeten konnte, ohne die Gefahr einer Enttäuschung, ohne die Furcht, in seiner reinen, platonischen Anbetung des Heiligen und Ahnungsvollen mißverstanden zu werden.
Oppenstein, der die Frauen zu erkennen und zu verehren zu seiner Lebensaufgabe gemacht, erkannte sich selbst nicht; ersuchte das unbewußte Weib, nicht erwägend, daß die Begegnung mit dem Manne es zum Bewußtsein bringt. Er machte eine Reise nach der Stätte, allwo die reinste aller Jungfrauen geboren, dem Lande, von welchem aus den: Weibe durch das Christenthum erst eine seiner würdige Stellung erkämpft wurde.
Dort weilte er unter dem Marienbaum, er saß in der Krypta zu Bulak, in welcher die heilige Jungfrau auf ihrer Flucht ausgeruht, er studirte die hohe, welterlösende Legende an all' den historischen Stätten, aber er fand gerade in diesem Lande nach fast zweitausend Jahren die gesellschaftliche Lage des Weibes als eine so unwürdige, sah das Weib selbst aus einer sittlichen Stufe der Knechtschaft und Verdummung, daß er sich mit Abscheu wieder abwandtc.
Der Typhus, der ihn zum Majoratsherrn gemacht, brachte, gerade damals in Aegypten wüthend, auch ihn an den Rand des Grabes, ehe er den Hasen von Alexandria erreichte. Siech und gebrochen kehrte er heim mit der trostlosen Aussicht, in seinem Alter schon die Folgen jener Krankheit bis an sein Ende tragen zu Müssen. (Fortsetzung folgt.)