Heft 
(1885) 42
Seite
1007
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Feuilleton.

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Plötzlich stand Lord Byron still; ein kleines, ganz kleines Mädchen mit flachsblonden Haaren kam des Weges dahergetrippelt; es hatte nackte, rosige Füßchen, über sein Hemdchen war nur ein kurzes blaues Leinwandröckchen geworfen; an einem Strick führte sie eine Ziege, deren Glöckchen melodisch läutete; dieß Kind war nur das dürftige Kind armer Tagelöhner, doch seine treuherzigen Augen hatten die tiefblaue Farbe der Bergenzianen und der wunder­liebe Ausdruck des frischen, apfelrunden Gesichtchens hätte einen Mörder rühren müssen. Ganz allein, in der Einfalt und Fröhlichkeit der Unschuld, ging das kaum dreijährige Wesen durch den thanfrischen Wald.

Bei diesem Anblick verstummte der Skeptiker in Lord Byron und zu Tage trat der edle Freund und Beschützer alles Hülflosen, Unentweihten, von dem wir den schönen Ausspruch haben:Kinder sind kleine Engel, und die Menschen werden in ihrer Nähe auf Augenblicke zu Göttern."

Liebreich begrüßte er das Blondchen, gab ihm Geld und pflückte ihm eine hochstengelige Königskerze, nach der es begehrte; vertrauensvoll schaute das Kind zu ihm empor und blieb eine geraume Zeit bei ihm, seine Fragen mit der Redseligkeit kleiner Mädchen beantwortend; dann schien es sich zu langweilen, sprang seiner Ziege nach und verschwand.

Sinnend blickte der Lord der kleinen Hirtin nach; war diese Begegnung nicht eine Widerlegung seiner Behauptung? Mußte die Schöpfung absolut verfehlt, Hassenswerth heißen, die ein kleines, süßes Kind Hervorbringen konnte, Geschöpfe aus Morgenroth und Blütenschuee geformt, die des Menschen weichste Regung, sein Mitleid, erweckten?

Aber was wird aus ihnen?" drängte sich dem Zweifler gleich wieder die Frage auf.Im besten Falle vegetirt so ein Landmädchen gedankenlos dahin wie ein Thier des Feldes oder es wird die Magd eines Trunkenboldes, dessen Fäusten und Fußtritten sie gesetzlich verfällt. Mag man es wenden, wie man will: das Schicksal ist verrätherisch, unter Blumenpfaden höhlt sich der Abgrund, jeder Kranz verwandelt sich in eine Dornenkrone. ,vöeiä6M6iw U0U8 80 MM 68 mal 6mbargutz8 / sagt die gescheidte Madame de Sevigne, und mit anderen Worten

sagten es alle begabten, aufgeklärten Leute von Salomo bis zu Herrn von Chateaubriand!"

Auf's Neue wurden seine pessimistischen Be­trachtungen durch einen unerwarteten Anblick ab­geschnitten; indem er auf einen Wiesenfleck hinaus- trat, sah er ein milchweißes Pferd arabischer Rasse grasen; es trug einen sehr eleganten Damensattel mit reichgestickter Schabracke. Die Besitzerin des edlen Thieres konnte nicht ferne sein.

Der Lord stutzte, die Begegnung einer Fremden wäre ihm lästig gewesen, allein eine unbestimmte, freudige Regung durchschauerte ihn; er hatte plötzlich das Gefühl, als ob Ketten von ihm abfieleu. Er ahnte die Nähe eines geliebten, glückbringenden Wesens, dessen Dasein er im tiefsten Unmuth ver­gessen hatte.

Schon sah er im Geiste seine Janthe zwischen den lichten Stämmen der Buchen erscheinen; aller Trotz, alle Trauer wich von ihm; nicht daß er gänz­lich ohne eine gewisse Beängstigung gewesen wäre: sein Herz pochte, als stünde er vor einem Wende­punkt seines Schicksals; ausgelöscht war jede Erinne­rung an die jüngst durchlebte wilde Szene; ein warmer Glanz leuchtete in seinen Augen auf und in langen, tiefen Athemzügen sog er neue Hoffnung mit der lauen, linden Luft ein.

Und sie blieb nicht aus!

In tiefes Sinnen verloren, den Blick zu Boden gesenkt, kam Lady Nancy Harleigh dem süß Er­schrockenen entgegen.

Ueber den rechten Arm trug sie die Schleppe ihres weißen Reitkleides ans Crepe de Chine, in der linken Hand hielt sie einen blühenden Jasminzweig und einen runden floreutinischen Strohhut.

In jenem Augenblick verglich George seine lilien­schlanke Dryas mit der Angelika aus dem schimmern­den Epos des Ariosi. Die Waldszenerie, die weiße Gewandung, das grasende Roß, wer hätte da nicht der Heldin desOrlando" gedacht?

George vermochte nicht, sich von der Stelle zu rühren.

Und sie kam näher und näher.

Gab es nicht trotz aller tiefen Schatten warme Sonnenblicke der Erfüllung?

(Schluß folgt.)

Feuilleton.

M o sL i k.

Der Elephantknritt. Unstreitig, sagt Seniler in feinem eben erschienenen höchst interessanten Buche über das Reisen, ist der Elephant als Reitthier dem Kameel vorzuziehen, da seine Bewegungen weniger unangenehm sind und auf seinem breiten Rücken ein bequemer Sitz errichtet werden kann. Der Treiber setzt sich auf den Nacken des Thieres und lenkt cs mit einem eisernen Stab, der einen Stachel und einen Haken hat. Der Reisende hat mit dem Elephanten nichts zu thun, er gibt dem Treiber nur den Ort an, den er erreichen will, und überläßt ihm dann vollständig die Führung. Der Sattel, in Indien Howdah genannt, gleicht einem kleinen Schlitten ohne Schweifen, er wird mit mehreren starken Riemen unter dem Bauche des

Elephauten festgebunden, und die vier Personen, welche auf ihm Platz finden können, müssen eine Leiter benützen, wenn sie ihren luftigen Sitz erreichen oder verlassen wollen. Die Eingeborenen begnügen sich manchmal mit einem einfacheren Sattel, der einer gut ausgestopften Matratze gleicht und wie der Howdah befestigt wird. Ein Elephant trägt so viel Per­sonen, als sich auf seinem Rücken festklammern können; wiegt doch seine gewöhnliche Bürde als Lastthier sechzehnhundert bis achtzehnhundert Pfund. Wenn Elephanten zur Truppen­beförderung verwandt werden, müssen sie in der Regel acht, manchmal auch zehn Soldaten tragen. Es wird in diesem Falle ein Sattel benützt, der aus einer Holzplatte besteht, auf welcher eine Doppelbank ruht, die mit dem Rückgrat des Elephanten läuft. Die Reiter theilen sich in zwei Abtheilungen,