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Deutsche Noman-Sibtiothek.
Langeweile Deiner Gelage mit euren sogenannten geistreichen Debatten, euren ewigen, salzlosen Geschichten von Harrow und Cambridge, euren mir unverständlichen lateinischen Citaten! Oft Hab' ich mir heimlich den Bast von den Nägeln gewunden, um nicht auszukreischen vor Ungeduld und zuhören zu müssen, wie sie Deine Eitelkeit mit geschwollenen Phrasen kirrten, Dir Unsterblichkeit prophezeiten. Was liegt mir an Deinem Ruhm, Deiner geistigen Macht? Unberühmt, wie Du bist, liebe ich Dich! Die Götter gaben Dir Schönheit, frauenverblendende, — wozu nach Ruhmeskränzen Haschen? Ehrgeiz, — Achtung, — Bewunderung? Verbrauchte, schemenhafte Begriffe ! sie werden zu Schanden vor einem Flammenkusse, der bis in's Mark hineinbrennt! Glaubemir, George, es gibt nur eine Macht, eine Riesengewalt im Diesseits und Jenseits — o Gott, Du hörst mich nicht! — Schau' nicht so todmüde aus! Sei lieber zornig, tobe, entgegne etwas! — George!"
Byron stand in der Fenstervertiefung, die vorgestreckte Rechte gegen einen Pfeiler gedrückt, den Kopf gesenkt.
Flora glitt an ihm nieder, seine herabhängende Linke ergreifend; ihre wilden Ringellocken hatten sich aufgelöst und umwogten ihren Busen, was ihr das Ansehen einer Büßerin des Ribera gab.
Er zuckte zusammen bei ihrer Berührung.
„Reiße mich nicht zurück zur Tiefe," bebten seine Lippen — Abscheu, Todesangst malten sich in seinen Zügen — er kannte seine Schwäche, er fühlte, daß es ungeheuer schwer war, einem so wunderschönen Dämon zu widerstehen, daß eine eiserne Willenskraft dazu gehörte — wie hülfeflehend blickte er nach Rettung umher. — Flora wollte um jeden Preis den Ehrgeiz, das Ruhmbedürfniß des echten Mannes in ihm ersticken, seinen hohen Gedankenflug hemmen, ihm jede künftige Laufbahn verschütten.
Namenloses Sehnen nach Waldeinsamkeit, nach frischer Luft und Grün überkam den Fiebernden, den bald Glut, bald Frost durchrieselten.
„Um Gottes willen, Flora, kein Wort mehr!" sprach er, mühsam sich von ihr losreißend und nach Athen: ringend.
„Du sollstund mußt mir Rede stehen!" rief sie befehlend, wie eine bäumende Schlange vom Boden emporschnellend; ihm graute vor ihren unheimlich raschen Bewegungen, vor ihren wollüstig wilden Locken, ja, vor ihrer glatten, allzu weichen, allzu weißen Haut; er griff nach einem Messer, das auf einem Tische lag, und drohte heiser mit entstellten Zügen:
„Ich stoße es mir bis zum Heft in die Brust, wenn Du noch eine Sylbe hinznfügst, und nach diesem Leben will ich Dich quälen, wenn ich's vermag !"
Der treue Boatswain stieß ein klägliches Geheul aus.
„Stoß' zu!" schrie Flora wie rasend, „besser, als Dir und Anderen zum Fluche leben!"
Ihn wie sie hatten alle guten Geister verlassen, er umkrampfte mit zitternder Hand die Messerklinge, eine That des Wahnsinns zu vollbringen; schon hatte er sein feines Batisthemd über der Brust zerrissen.
„Halt!" donnerte eine Stimme. John Hobhouse,
der erwacht war, warf sich zwischen Beide, mit kräftigem Ruck entwaffnete er den Freund; vor dem zermalmenden Blick, den er dabei Flora zuwars, wich sie zurück, das Gräßliche ihres Benehmens fühlend.
Byron brach in Hobhonse's Armen zusammen. Boatswain's fortwährendes Winseln und Heulen rief Fleischer, Bob und Frank herbei. Die erschrockenen Diener trugen den angebeteten Gebieter auf sein Zimmer.
Eine Stunde später wankte der junge Schloßherr betäubt, kaum seiner Sinne mächtig, in den Park hinab.
Wäre die Burg seiner Väter hinter ihm in Rauch und Flammen anfgegangen, es wäre ihn: gleichgültig gewesen.
Den Anblick der stylgerechten, abgezirkelten Blumenbeete vermochte er nicht zu ertragen und hastete tief in den Forst hinein.
Ach, der Morgen war so wonnig, der Waldgrund so friedlich, das Blätterweben klang einwiegend, flüsternd, wie ein Wiegenlied; zwischen den Aesten der Buchen, Eichen und Tannen spielten die Sonnenstrahlen, glänzten die silbernen Gewebe der Spinnen; durch die Laubkronen lugten die Myriaden blauer Augen des Aethers; am Boden perlten glitzernde Wasserfäden, aus moosigem Gestein langsam hervorsickernd und die festen Stengel der Dotterblume tränkend; über den Farnkräutern und Schattenblumen schwirrten nußbraune, goldpnnktirte Schmetterlinge, eine unruhige, unstüte Gesellschaft, nirgends Ruhe findend, in einem fort hin und her flatternd und flimmernd, von der bescheidenen Skabiose zur durchsichtigen Hagebnttenblüte, von der bleichen Rapunzel zum verschämten Vergißmeinnicht. Brombeer- und Hollunderhecken tropften von Thau, Rothspechte und Buchfinken tauchten die blankgewetzten Schuäbelein und die kleine, gefiederte Brust in das leuchtende Naß und flogen zwitschernd in die Höhe, ihren Nestern zu. In tollen Sätzen sprangen winzige, grasgrüne Fröschlein über Waldmeister und Riedgras hinweg, während wilde Kaninchen quer über den Weg huschten, unter Haselsträuchern verschwindend.
Keines dieser intimen Waldbilder entging dem Auge Lord Byron's, es wunderte ihn, daß er noch Sinn für dergleichen hatte, daß seine überreizten Nerven sich beruhigten bei Wiesenblumen und Vogelidyllen; so war wirklich nicht Alles verzerrt und häßlich aus dieser Welt? Gab es noch Mittel, die empörten Blutwellen zu sänftigen? Gab es noch eine Zukunft, enthielt die Ferne noch irgend etwas, wofür es sich zu leben lohnte?
„Nein," rief er mit Bitterkeit durch die duftende Halde, „Befriedigung wird nur den Pflanzen und Thiereu gewährt! Wir Menschen haben den Verstand, um in die verborgensten Kombinationen der Dinge einzudringen, um Probleme zu zergliedern, die gährende Urkraft zu ergründen — und was ernten wir? Verzweiflung!!"
Die ehrwürdigen, hochstämmigen Bäume schüttelten bedenklich ihre Kronen ob des schönen jungen Schloßherrn, der zu so früher Stunde, Fluch und Verneinung auf den ambrosischen Lippen, die Einsamkeit durchstreifte.