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Deutsche Roman-Bibliothek.
die Botschaft seines Herrn, man solle nicht auf ihn warten, sondern die Kleine begraben. Eszter that die uöthigen Schritte, und für den nächsten Morgen neun Uhr früh wurde das Leichenbegängnis festgesetzt.
Eszter und die Amme blieben wachend bei der Leiche.
In der Küche spielten die Diener Tarock; es war elf Uhr geworden.
Ein Reiter nahte sich dem Hause. Tief in den Mantel gehüllt, umritt er das Haus; vielleicht wollte er sehen, wo sich Licht befand. Nur durch die Fenster des Kindszimmers drang ein schwacher Schimmer; durch die geöffnete Thüre der Küche sah er die Spieler.
Er ritt zur Thüre der letzteren, und plötzlich schaute ein Pferdekopf in die Küche.
Die Männer sprangen auf, das Pferd schrak zurück, aber der Reiter hielt es an. Pal hatte Rozsika erkannt, nahm die Zügel, hielt den Steigbügel, Herr von Taroczi stieg ab.
„Licht!" sagte er.
Man brachte es, Taroczi nahm es in die Hand und ging in das Schlafzimmer seiner Frau. Es war leer.
Er suchte fast ziellos herum, deckte das Bett ab, öffnete den großen Kasten und kam endlich zum Schreibtische. Auf demselben fand er einen Brief. Er stellte das Licht ans den Tisch, setzte sich in den Armstuhl feiner Frau und betrachtete den Brief. „Herrn Michael von Taroczi eigenhändig" lautete die Adresse. Es war die Hand seiner Frau.
Taroczi legte ihn wieder auf den Tisch, wickelte sich in den Mantel und blieb sinnend sitzen. Nach einer Weile griff er von Neuem nach dem Brief, erbrach das Siegel und las.
Er lautete so:
„An der Bahre meiner Tochter!
„Das einzige Band, das mich fesselte, ist zerrissen. Unwiderstehliche Abneigung, eine triftige, von der Kirche und dem Staate anerkannte Scheidungsursache nöthigt mich, abzureisen. Ich werde nie mehr zurückkehren und öffne jedem andern Glücke oder Unglücke die Bahn. Auf Nimmerwiedersehen
Helene von Geszel."
Taroczi stand auf, ballte den Brief in der Hand und steckte ihn in die Tasche.
„Auch gut, um so besser," sagte er in sich hinein, „um so leichter ausführbar!"
Er nahm den Hut ab, fuhr sich durch die Haare. Im Grunde ärgerte ihn gerade diese Leichtigkeit. Er hatte sich während des laugen Rittes vorgestellt, es werde große Kämpfe absetzen. Nun wurde er aufgegeben, wo er doch gemeint, daß er es sei, der das lästig gewordene Band Zerreißen wolle. Der natürliche Gedankengaug brachte ihm Eszter in den Sinn, die ihn verschmäht hatte, und Jda, an die er jetzt gefesselt war; diese drei Gestalten verwirrten sich in seinem Sinne, und wie viel Mühe er sich auch gab, die Verhältnisse klar aus einander zu legen, Eszter aus dem Spiele, Zu lassen, Jlka zu beseitigen, Jda an ihre Stelle zu setzen, die er vor wenigen Stunden noch so sehr dort gewünscht, es gelang ihm nicht; sein Verstand erwies sich machtlos gegen seine
Phantasie und gegen sein Gemüth, oder vielleicht gegenüber den Bildern des Gedächtnisses, die sein Gehirn ohne seinen Willen ausfüllten.
Taroczi nahm das Licht und ging in fein Zimmer. Auch dort war ihm unheimlich Zu Muthe, er läutete, ließ sich Wein bringen und trank sehr viel davon.
Der starke Trank schien ihn zu beruhigen, Jda's Bild trat entschieden in den Vordergrund, die frühere Blässe wich lebensvoller Röthe, der Muth kehrte zurück. Er trank noch mehr und rauchte dazu; nach und nach wurde er weich, sein Kind fiel ihn: ein, Thräneu traten in die Augen und fielen unbeachtet herab. Er hatte sich vergessen. Aber plötzlich — wie aus einem Traume erwacht, sprang er aus, fuhr sich über Stirn und Augen, legte die Tabakspfeife weg und ging aus seinem Zimmer hinaus, geradewegs zum Kiudszimmer. Er öffnete die Thüre.
In der Mitte des Zimmers stand noch der Sarg, darinnen lag seine ganz entstellte kleine Tochter, die Blumen rings umher waren halb verwelkt, es brannten nur Zwei Lichter neben dem Kopfe Jlka's, deren Gesicht au jenes der Mutter gemahnte.
Rechts lag die Amme augezogen aus dem Bette und schlief. Links hart an der Bahre, den Rücken dem Eintretenden zugekehrt, saß Eszter, ein Buch im Schooße. Sie las in der Bibel.
Taroczi blieb wie gebannt stehen.
Eszter rührte sich nicht.
Eine ziemliche Weile war so verflossen.
Die Angen Taroczi's verglasten sich, er begann die Lichter doppelt zu sehen und fühlte, daß er doch zu viel getrunken hatte; er suchte einen Stuhl, um sich anzuhalten oder niederzusetzen, es stand aber keiner in der Nähe, so daß er zu wanken begann.
Eszter, die Herrn Taroczi wohl eiutreten gehört, sich aber nicht gerührt hatte, da sie wegen seiner späten Rückkehr nach Hanse auf ihn zürnte und überdieß wegen der plötzlichen Abreise der Hausfrau Verdacht gegen ihn geschöpft hatte, sprang jetzt auf, übersah die Lage des Herrn im Augenblicke, nahm ihn am Arme und schob ihn, ungeachtet des leisen, ihr entgegengesetzten Sträubens, zur Thüre hinaus, diese hinter ihm absperrend.
Herr von Taroczi Zog sich in sein Zimmer zurück, leerte noch ein Glas Wein, legte sich zu Bette und schlief den Schlaf — des Vergessens.
Acht Uhr hatte es geschlagen; er schlief noch immer. Eszter schickte schon zum dritten Male den Diener hinein, seinen Herrn zu wecken; jedesmal wurde er aber abgetrumpft, und der Herr schlief weiter.
„Sage dem gnädigen Herrn, daß seine kleine Jlka gleich werde begraben werden, er solle ausstehen, es sei höchste Zeit."
Antal befolgte den Auftrag; sein Herr jagte ihn aber mit Flüchen fort und warf ihm den Leuchter nach.
Nachdem dieser Eszter gemeldet, was geschehen, wußte sie nicht gleich, was zu thun.
Schon sammelte sich das Dorfvolk im Hofe, man vertheilte Wachskerzen; ein halbes Dutzend weißer Mädchen mit Kränzen auf den Armen zog