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Deutsche Noman-Siüliothek.
er ruhigen Blutes seinen ängstlichen Freunden und trug die KreuzzeituugsfarLe nur noch öffentlicher Zur Schau. Was ihn aber ernstlich bekümmerte, war, daß sein einziger, zwanzigjähriger Sohn Arthur die Ideen in sich ausgenommen hatte, welche der damaligen jungen Generation funkelnagelneues Goldgepräge zu tragen schienen. Es gab heftige Auftritte in dem stillen Hause der alten Hansestadt. Der Vater, sonst in seinem Gebühren bei unliebsamen persönlichen Erfahrungen so milde, zeigte sich gegen den Sohn unduldsam und hart. Er setzte dem Brausekopf die Autorität des Alters, der Erfahrung entgegen; er meinte, ihn zwingen zu können, daß er Perrücken und Zöpfe als Heiligthümer verehre, weil sie einst Symbole der Würde, des Ansehens gewesen seien.
Es ging nicht an; das junge Blut empörte sich nur heftiger. Unleidlich wurde Arthur das Leben im väterlichen Hause. Die Mutter, welche vielleicht zwischen Vater und Sohn hätte vermitteln können, war todt, eine ältere Anverwandte, welche den Knaben erzogen hatte, noch konservativer als Konstantin Ueberweg. Endlich riß Arthur die Geduld; insgeheim traf er Anstalten, zu fliehen, um sich den badischen Freischaaren anzuschließen.
Aber einige der Vertrauten des jungeil Hitzkopfs, bedächtiger als er, erschraken nicht wenig über dieß tolle Vorhaben. Zwar trugen auch sie, der Mode gemäß, ihre Taschenuhren an schwarzrothgoldenem Bande, zwar hatten auch sie sich als Mitglieder in einen demokratischen Klub einschreiben lassen und klatschten daselbst den Schlagwörtern des Tages den lautesten Beifall. Dennoch erschien es ihnen als Wahnsinn, daß ein junger Mann in Arthur's Verhältnissen sich um eines politischen Zweckes willen einer leiblichen Gefahr aussetze. Und außerdem mochte ihnen als jungen Kaufleuten, denen gelehrt worden war, den eigenen Vortheil niemals außer Augen Zn lassen, ein Pfund Dankbarkeit vom Vater Ueberweg werthvoller erscheinen als ein Centner Freundschaft vom Sohn. Kurzum: diese weltklugen Freunde verriethen Arthur's Pläne an den Vater.
Und nun griff Konstantin Ueberweg zu einem verzweifelten Mittel, um dem Sohn ein- für allemal einen Schritt wie den beabsichtigten unmöglich zu machen. Er ließ Arthur Nachts im Schlafe von vier Matrosen überfallen, knebeln, binden und an Bord eüws seiner Schiffe bringen, das segelfertig ans dem Flusse lag und nach Charleston bestimmt war.
Am nächsten Morgen waren die Segel des Fahrzeugs im Dunste der Ferne verschwunden. Erleichtert athmete Konstantin Ueberweg auf: sein Sohn war sicher. Wohl schnürte sich ihm das Herz zusammen, wenn er an die harte Maßregel dachte, die ihm die Sorge um des Sohnes Wohl abgerungen hatte. Aber sein einziges Kind vor den verderblichen Folgen :ines gefährlichen Wahns Zu schützen, selbst mit Ge- oalt, das war seine Pflicht. Damit beruhigte er ich und sah mit unbewölkter Stirn die Wogen der 'Bewegung langsam ausbranden. Indem er seinen Sohn in die Fremde hinausstieß, hatte er ihm das Vaterland erhalten; er hoffte, er rechnete darauf, daß dieser Sohn dieß dereinst Ansehen und ihn für seine gewaltsame That segnen werde.
Arthur, zuerst in Wuth auflodernd, in seinen Fesseln tobend und rasend, hatte bald erkannt, daß Widerstand nutzlos war. Aus schmalem Bett in enger Kabine liegend, die man ihm als Gefängniß angewiesen, verfiel er in dumpfe Betäubung. Unerhörtes war ihm geschehen. Seit die Menschen sich einander quälten und knechteten, meinte er, habe noch nie ein Sohn von Vaters Händen solche Vergewaltigung erfahren müssen als er. Mit starkem Selbstbewußtsein ausgerüstet, empfand er die ihm gewordene Behandlung als unerträglichen Schimpf. Nicht weiter leben mochte er unter der Schmach, die ihm an- gethan worden war. Er stellte sich mit nur allzu lebhafter Einbildungskraft vor, wie zu Hause die Bekannten sein klägliches Schicksal belachen würden — sie, die abscheulichen Verräther! — wie die Mär von dem eigensinnigen Knaben, den der Papa in die Zwangsjacke gesteckt habe, in seiner Vaterstadt von Mund zu Mund lause. Zum Spott der Menschen war er geworden für alle Zeit. Hartnäckig verweigerte er, Speise und Trank zu sich zu nehmen. Dem Kapitän, der all' seine schlichte Beredsamkeit aufbot, um den Bemitleidenswerthen zu trösten, ihn zu bewegen, sich in seine Lage zu schicken, gab er keine Antwort.
Aber Arthur's Natur war stärker als sein Wille. Als nach einigen Tagen vollständige Physische Erschöpfung eingetreten war, litt er, daß man ihm Nahrung einflößte. Und bald darauf schlich er am Arme des Kapitäns auf Deck und blickte aus trüben, tief in den Höhlen liegenden Augen müde über die weite Fläche des Ozeans.
In der Einsamkeit zwischen Wasser und Himmel ist die Ergebung in das Unabänderliche leichter als irgendwo anders. Und auch Arthur fügte sich. Aber aus dem lebensfrohen, schwärmerischen Jüngling war ein argwöhnischer, grüblerischer Mann geworden.
„Die Mühe, mich zu bewachen, können Sie sich sparen," sagte er bitter zum Kapitän. „Ich denke nicht mehr daran, mir das Leben zu nehmen. Unter uns, Kapitän: ich war ein blödsinniger Thor. Ich bildete mir ein, die Tyrannen zu hassen — ich, der ich niemals Tyrannei in irgendwelcher Gestalt erfahren. Jetzt erst, da ich an meinem eigenen Leibe Zwang erduldet habe, da meine Persönlichkeit angetastet und roh in den Staub geworfen worden ist, jetzt erst weiß ich, was Haß ist."
Und Arthur ballte die abgemagerten Hände.
„Reden Sie nicht so, lieber junger Herr," er- wiederte der Kapitän erschrocken. „Was Ihr Vater an seinem Kinde gethan hat, kann er vor Gott verantworten."
„So mag er's dereinst thun; vor mir wird er's niemals."
Finster ließ Arthur die Augen nach Osten schweifen. „Dort," sagte er, „lag meine Bahn zu einer Wirksamkeit, wie sie meinen Anlagen gemäß ist. Verirren konnte ich mich, doch im Schlechten, im Gemeinen verlieren niemals. Immer wäre ich mir selbst treu geblieben. Wohlan: es hat nicht sollen sein. Sei denn das Land, zu dem wir segeln, fortan meine Heimat! Wurzeln schlagen werde ich auch dort und einen Stamm in die Höhe treiben.