Heft 
(1885) 47
Seite
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Die tolle Setty von Hans Wachenhusen.

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er sie liebte, wie er vorgab, warum hatte er, der nichts mehr vom Leben zn fordern, sich gestern vor dein Tode gesträubt, warum löste er durch diesen nicht sein Versprechen ein?

Finstere, unheimliche Vorstellungen tobten in dem ohnehin durch zwei schlaflose Nächte wüsten Gehirn. Alles, was sie hier umgab, flößte ihr Abscheu und Grauen ein; jeder ihrer Gedanken trieb sie hinaus, wo für sie das Leben war. Ein Grab dünkte sie dieses Haus, und dieser alte Mann, der sich jetzt an sie klammerte, der cs nicht vermocht, ihr auch nur einen Schimmer von Zuneigung abzngewinnen, stellte sich ihr am Rande des Grabes noch in den Weg, ein Gespenst, das doch ein einziger Morgenhauch ver­wehen konnte!

Ohne den Diener zu instruiren, schritt sie in aller Frühe in Hut und Mantille über den Korridor. Auf dem Flur aber wich sie zurück vor einer verschleierten Frauengestalt, die eben leise die Treppe hinabschwebte und auch ihrerseits überrascht aus der untersten Stufe innehielt.

Du bist es!" Bettina sah sich Lola gegenüber, die unschlüssig, die Hand auf der Treppenlehne, da­stand und sie austarrte.Wie kamst Du hieher? Man sagte mir, Deine Mutter.

Ich wollte die Nacht in meinem alten Zimmer verbringen!" Lola schaute nicht aus, während sie sprach.Ich wollte hier von Niemanden gesehen sein."

Ich habe mit Dir zu sprechen!" Bettina er­griff plötzlich entschlossen Lola's Hand und zog sie gegen deren Willen mit sich in ihr Zimmer. Hier warf sie die Mantille ab und trat erregt zu ihr, die rath- und obdachlos am Abend den weiten Weg hieher gemacht, um sich zu überzeugen, ob ihr früheres Zimmerchen noch unbewohnt, und da sie dasselbe ver­schlossen gefunden, in einem dunklen Treppenverschlage die Nacht verbracht.

Du warst es, die mich in Wien verrieth!" ries Bettina, mit gekreuzten Armen und drohenden Augen vor ihr stehend.

Lola, bleich und mit schmerzenden Gliedern, schlug die ihrigen aus.

Ich bin nicht schlecht genug, um Andere Zu verratheu, deneu ich Dank schulde!"

Wer hat denu verrathen, daß ich am Abend bei Frau von Ertel sei? Nur Du wußtest es!"

Herr von Walbeck wußte schon davon, als er mich am Abend aufsnchte."

Kannst Du mir das schwören?"

Mit gutem Gewissen! Ich verließ an jenem Abend schon Wien; unterwegs erkrankte ich in Folge all' der Aufregung und des Kummers und lag fast acht Tage in Dresden. Bei meiner Mutter ward ich von meinem Bruder mit Schmähungen empfangen, er wies mir die Thür und ..." Lola brach in Thränen aus.Ich bin verlassen und verloren! Selbst das Geld, das Du mir kürzlich gabst, nahm er mir ab und warf cs voll sich. Ich habe kein Glück mit Deinen Wohlthaten."

Und was gedenkst Dn zn thun?"

Ich weiß es nicht. Mir bleibt nur übrig, noch einen Versuch am Theater zu machen, aber mir graut davor!"

Bettina gewahrte erst jetzt die eingefallenen Züge des einst so frischen Mädchengesichts.

Warum wiesest Du den Vorschlag zurück, den ich Dir in Wien machte."

Weil Du zu heftig und gewaltthätig bist; ich hoffte, bei meiner armen Mutter wieder Aufnahme zu finden und dann..."

Dn bist eine Närrin!... Setz' Dich und laß uns plaudern! ... Du hast nichts, keinerlei Aussichten! Am Theater wird's Dir nicht besser ergehen, so lauge Dn nichts kannst!"

Lola nickte traurig vor sich hin.

Hier hat sich inzwischen Manches, ich könnte sagen, fast Alles geändert. Sie ist gestorben, ehe ich hier cintraf; mein Pflegevater stirbt vielleicht heute noch. Er hat mich zur Erbin seines ganzen Ver­mögens eingesetzt und auch die Besitzung am Rhein gehört mir schon. Meine Scheidung von Walbeck ist eingeleitet... Ich bin jetzt reich und unab­hängig."

Und was gedenkst Du zu thun?" Lola blickte sie argwöhnisch fragend an.

Sobald die Scheidung ausgesprochen, soll mich nichts hindern, dem Manne meine Hand zu reichen, den ich liebe."

Und was willst Du mit mir?"

Du sollst bei mir bleiben bis . . . Ich weiß ja selbst noch nicht. Es kann jede Stunde mit ihm zu Ende gehen. . . Verstoßen bist Du von den Deinigen, die Welt ist groß, es wird sich etwas finden für Dich, wenn Du nicht mehr in Noth bist."

Lola maß sie mit trauerndem Blick. Diesem undankbaren Geschöpf warf das Schicksal Alles in den Schooß, während sie mit Noth und Elend kämpfte!

Nun, was überlegst Du noch? Du sagtest ja selber, daß Dir durch Deinen Vater Alles ver­schlossen sei! Am Theater freilich fragt man nicht darnach, das kannst Dn Dir ja überlegen. Wenig­stens heute könntest Du hier bleiben, bis Du... Deine Schuld ist's doch, daß wir uns nicht mehr so verstehen. Du wirst müde sein; nimm das kleine Hinterzimmer. Vielleicht kannst Du Dich doch mit den Deinigen noch aussöhnen ... In einer Stunde hoffe ich zurück zn sein."

Ohne Lola's Antwort abzuwarten, eilte sie hinaus.

Was sie nur hat? Sie war mir unheimlich, als sie so herzlos von ihrem Pflegevater sprach!" Mit schmerzenden Gliedern suchte Lola das ihr an­gewiesene Zimmer.Ich will der Mutter schreiben! Bis dahin will ich dieß Obdach annehmeu. Ich verstehe sie ja, sie will nur nicht allein sein, wenn er stirbt. Sie kennt ja nur sich!"

Erschöpft an Körper und Seele streckte sie sich aus das Sopha und versank in tiefen Schlummer.

(Fortsetzung folgt.)