1151
Die tolle Betty von
denen ihr ausschließliches Denken an Camill nicht Raum gegeben, stiegen wie Schatten in ihrer Seele auf.
Sie war gewohnt, ihn ernst und bewußt zu sehen, und doppelt jauchzte ihr Herz, wenn sein seelenvolles großes Auge lächelte; aber sein Empfang, seine Bedenken angesichts ihrer Leidenschaftlichkeit — war dieß der Preis für all' das, was sie gethan, für sich, für ihn?
„Du liebst mich nicht!" rief sie, als er beschwichtigend ihre Hand wieder ergreifen wollte, die seinige zurückstoßend. „Die Schmeichelei der Anderen hat Dein Herz verdorben! Aber ist Eine von all' diesen schöner als ich, liebt Dich Eine mehr und heißer als ich? Etwa Jene, die Dir folgt, die Dich mit Geschenken überhäuft... Ist sie Deiner würdiger, weil sie eine Fürstin? Gib mir Antwort und Wahrheit!"
Camill erhob sich; er legte den Arm um ihren Leib. Sie beugte sich, schaudernd vor seiner Berührung, zurück. Aber all' die Empörung, die in ihrem Herzen tobte, löste sich vor der bändigenden Macht seines Blickes.
„Camill, die Wahrheit!" rief sie, die Hände gegen seine Brust legend, die Augen starr und wild auf die seinigen gerichtet, als suche sie diese Wahrheit in denselben. „Schwöre mir, daß Du dieses Weib nicht liebst!"
Camill schüttelte lächelnd das Haupt; mit kräftigem Arm hob er das ihrige zu sich und preßte einen Kuß auf ihre Lippen.
„Du bist kindisch!" sagte er. „Wer hat Dir dieses Märchen erzählt?"
Bettina, bedürftig dieses Trostes, aber noch zweifelnd, überließ sich seinem Arm; und diese Zweifel waren doch so bereit, dem Frieden, dem Glauben Raum zu geben, als Camill sie hinweg küßte und, seine Zurückhaltung vergessend, im Anblick des schönen Weibes schwelgte.
„Camill!" sprach sie erhitzt, mit glühender Stirn, ihre Arme um seinen Nacken schlingend. „Sieh', ich liebe ja Niemanden auf der Welt, als Dich! Es ist, als habe mein Herz nur Raum für Dich, als dürfe ich von dem, was ich zu empfinden vermag, kein Atom an Andere vergeben, und das machte mich verwaist, verlassen, selbst als Die noch lebten, die von mir geliebt zu sein verlangten." Sie streichelte sein glänzendes schwarzes Haar und lehnte die Wange auf feine Schulter. „Ich kann ja nicht lieben wie Andere! Sie sind mir wesenlose, gleichgültige Gestalten, die mir die Zeit rauben, an Dich zu denken, die von mir Gedanken und Worte begehren, für die mir der Sinn fehlt, und ich stellte mir immer vor, auch Du könnest nur so lieben, wenn Du mich liebst... Sag' mir noch einmal, daß sie logen, als sie mir von dieser Andern erzählten; selbst meine Freundin Pauline schrieb mir von ihr; aber sie gefiel sich ja darin, mir das Herz zu foltern, so lange sie nicht wußte; sie spricht ja so gerne davon, wie die Weiber alle an Dir hängen, wie sie für Dich schwärmen... Bekenne mir," schmeichelte sie, ihm in's Auge blickend, „wenn ein Körnchen Wahres darin ist! Ich will ihr ja vergeben, dieser Andern, wenn Du mir nur gehörst, ganz .. . ganz! O, Du weißt ja nicht, was ich gethan habe, um Dich Zu besitzen!"
Hans Wachenhusen.
Sie lehnte die Stirn wieder auf seine Schulter und weinte. In diesem hohen Moment drängte sich ihr wiederum auf, was Alles in der kurzen Spanne Zeit im Sturm und Drang ihrer Leidenschaft geschehen. Zwei Gräber umschlossen Diejenigen, die ihrem unzähmbaren Verlangen entgegen gewesen waren, und sie, die sich rühmte, solcher Liebe fähig zu sein, hatte nicht einmal Mitleid für Die empfunden, denen sie Alles gewesen!
Und lag sie auch jetzt in den Armen des von ihr so ersehnten Mannes, die Furcht für seinen Besitz umschlich ihr Herz, sich in dieß wonnige Hochgefühl drängend. Alles hatte sie gethan, und ihr war's, als höre sie die Stimme ihres Wohlthäters, als sehe sie die zürnende Hand ihrer Mutter — Alles, um ihm zu gehören, und als jetzt der erste Zweifel sich in ihr Herz schleichen wollte, überfiel sie die Ahnung neuer Kämpfe mit der Welt, die ihr ihn streitig machen konnte, einer Welt, in der sie so viel schöne Arme nach ihm ausgestreckt zu sehen glaubte.
Enger, fester schloß sie ihn an sich. Mit von Thränen feuchten Augen schaute sie auf, als er ungeduldig ward.
„Nicht wahr, ich erscheine Dir thöricht? — Aber nenne es nicht so! Ich will ja dieß Gespenst verscheuchen! Plaudern wir von uns Beiden! O, es ist mir ja ein so wonniges Gefühl, selbst und ungehindert über mich bestimmen zu können! — Plaudern wir von unserer Zukunft! — Sieh' hier!" — Sie zog ein Papier aus der Tasche. „Es ist die Abschrift des Testamentes! Ich bin die einzige Erbin dieser Summe — mehr als eine Million Thaler! — Sie liegt in der Bank zu meiner alleinigen Verfügung. Mein Pflegevater instruirte mich für den Fall, daß er dereinst plötzlich abgernfen werden solle . . . Nimm Du es hin; verfüge Du! Ich verstehe ja nicht mit Geld umzugeheu, mit so viel! Es gehört ja Dir, was mir gehört... Nimm! Mir ist es eine Last!"
Angewandelt von einer Empfindung von Vorwurf und Zufriedenheit, die Camill nicht verstand, reichte sie ihm, ihr Antlitz abkehrend, das Papier. Der letzte Abend des Verstorbenen, an welchem dieser wie im Vorgefühl seines Todes ihr dasselbe übergeben, trat vor ihre so hochbewegte Seele; ihre Hand zitterte, wie sie es ihm reichte.
Camill schob dieselbe zurück.
„Behalte," bat er. „Unstät, wie mein Leben ist, würde ich ein schlechter Verwalter sein."
Bettina's Hand sank; sie ließ sich auf den Divan nieder und schaute erschreckt zu Boden.
„Unstät!" flüsterte sie.
„Gianetti, mein Impresario, drängt schon wieder zur Abreise nach Warschau! Ich darf Dir nicht verhehlen, daß dieser Gedanke bei Deinem Anblick mir mit Centnergewicht auf die Seele siel. Du weißt, ich muß ihm Folge leisten."
„Du mußt!" Schwerer noch als auf seine Seele fiel dieses Wort auf die Bettina's. Sie hatte den Muth gehabt, sich von Allem zu befreien, und er beugte sich so willig unter dieses Joch. „Und ich, die ich jede Sekunde zählte... Du willst mich hierzurücklassen!"
„Du wirst bei Deiner Freundin sein, bis ich wiederkehre."