Die tolle Betty von Hans Wachenhusen.
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Siebenunddreitzigstes Kapitel.
Meister Pinelli überraschte eines Tages den Künstler, wie dieser zum ersten Mal und nicht ohne Besorgniß zum Bogen griff und seine ersten Studien wieder begann.
Sich still in die Ecke setzend, lauschte er; in raschem Stimmungswechsel nickte er bald entzückt, bald schüttelte er den Kopf nervös und gereizt; mit steigender Besorgniß sah er auf, wenn Camill's Arm sich erschöpft einige Ruhe gönnte, schlug den Takt mit den Fingern aus den Knieen, wenn er einen Mangel im Tempo hörte, legte aber endlich doch zufrieden die Hände gefaltet in den Schooß.
„Bravissimo! Aber nur langsam und vorsichtig!" vernahm Camill auch Gianetti's Stimme, der, vor einigen Tagen von seiner Reise zurückgekehrt, durch das Spiel herbeigelockt, in der Thür gestanden. „Die Aerzte hatten mir unnöthig bange gemacht. Der Eine sagte, das Handwurzelband sei schwer verletzt, der Andere verzweifelte an der Heilung und Geschmeidigkeit des Fingerbeugers; es ist ja aber Alles wieder in Ordnung."
Er trat zu Pinelli, der noch in der Ecke saß, um ihm die Hand zu drücken.
„Maestro, acht Tage vorsichtiger Hebung und ich übernehme die Verantwortung! Camill tritt nächste Woche hier in einem Konzert auf; Alles wird Herzuströmen; sein Wiederauftreten wird ein Triumph sein! Ich wette meinen ganzen Geschäftsantheil daran!"
Gianetti blickte Camill bei den letzten Worten mit Lächeln fragend an, als erwarte er dessen Antwort. Camill reichte ihm in schweigendem Einver- ständniß die Hand, und der Impresario betrachtete das wie eine Erneuerung ihres beiderseitigen Vertrags. Er hatte sein Geld in der Tasche und den neuen Kontrakt obenein.
„Sie sind doch einverstanden, Camill, daß ich unsere Ankunft in Petersburg für einen bestimmten Tag annoncire?" fragte er.
„Auf Ihre Verantwortung!"
Gianetti ging. Pinelli schlich ihm nach, als ersah, wie Camill nicht ohne Zagen wieder den Bogen ansetzte.
„Gianetti!" Er nahm diesen schon auf dem Korridor beim Arm. „Haben Sie wirklich dieses Vertrauend"
„Nur Schwäche der Muskeln und Nerven noch! Sie hörten doch, daß er derselbe ist!"
„vio voZlla! Aber versprechen Sie mir Eins! Hüten Sie ihn vor diesem Weibe... vor allen Weibern! Sie waren das Unglück seines Vaters, sie werden auch das seinige!"
„Aber Maestro! Kann ich denn den Marchese Balsado unter eine Glasglocke stellen? Die Männer machen mir das Geschäft nicht; sie sagen höchstens: ,Hm! Recht brav! Tüchtiger Geiger, aber jener Andere, der Dingsda, den wir im vorigen Jahre hörten, war ebenso gut!' Andere sind gar eifersüchtig für ihre Frauen oder besorgt für ihre Töchter und wünschen den Künstler zum Teufel, wenn es ihnen zu viel des Entzückens wird ... Ich muß die Frauen haben, muß mir täglich den Kopf zerbrechen, um
was Neues zur Montirung des Künstlers zu ersinnen. Dieser Tage bringen die Zeitungen auch die Nachricht, daß einer der reichsten kalifornischen Minenkönige ihm Millionen über Millionen zu Füßen gelegt, um ihn für seine Tochter der Kunst zu entziehen, daß er aber Alles ausgeschlagen; vorher jedoch wird es noth- wendig sein, zu schreiben: Nachträglich erst ist es uns gelungen, die Details jenes Duells in der Brühl zu erfahren, die uns den illustren Künstler in dem ganz neuen chevaleresken Licht, in dem eines ausgezeichneten Schützen, zeigen, der großmüthig seinen Gegner, einen unglücklichen Gatten, im Kampf um ein Frauenherz schonte, das er gar nicht begehrte."
Der Maestro zuckte bei den letzten Worten freudig zusammen; er erfaßte leidenschaftlich Gianetti's Hand.
„Das er gar nicht begehrte!" wiederholte er drängend. „Sie sind überzeugt? Er war so verschlossen gegen mich!"
„Sahen Sie nicht, wie bereit er zum Ausbruch von hier? Brauchen Sie noch andere Ueberzeugung? Reisen Sie, lieber Maestro, und machen Sie sich keine Sorge!"
Pinelli drückte ihm dankbar die Hand. Gianetti lächelte überlegen. Komisch erschien ihm die Angst des alten Mannes, der so ganz vergaß, daß sein Zögling ihm schon entwachsen, als er ihn aus seinen Händen entlassen.
„Unter uns gesagt, Maestro," — Gianetti hatte ihn in sein Zimmer gezogen, — „ich lüge niemals ganz; ein Körnchen Wahrheit liegt immer darin. Verstanden Sie nicht, was ich vorhin sagte? Suchte nicht vor etwa einem Jahre ein Mister Hawconrt Ihre Bekanntschaft, ehe Sie mit Camill nach Paris gingen?"
Pinelli nickte, aber verdrossen.
„Ich begegnete ihm in Mailand im Hotel de la Ville. Ein hoch aufgeschossener, schon etwas gebengter Herr mit röthlichblondem Haar, langem, gechecktem grauem Bart und austernfarbigen Augen, erkennbar an einer reizenden Tochter von dem Wuchs einer jungen Palme; Beide ganz enragirte Musikenthn- siasten."
Pinelli nickte wiederum, aber düsterer.
„Die Beiden kommen mir jetzt ganz apropos. In Mailand sprach ich bei Tafel von Camill; ich spreche ja überhaupt nur von ihm. Der alte Herr horchte, stellte sich mir vor und fragte nach Camill, den er zu kennen die Ehre habe; die Tochter hörte mit sonderbar glänzenden Augen zu. Am Abend hörte ich sie Piano spielen, eine Meisterin. Sie sind hier... Verstehen Sie jetzt, Maestro, was ich vorhin andeutete? Millionen, die er ihm sammt seiner Tochter zu Füßen legt! — Schade; ich dars während seines Hierseins den Stoff nicht benützen, er wird aber in Rußland gute Dienste thun. Und Sie sürchten noch, daß unserem Camill ein Weib gefährlich sein könnte? — Bleiben Sie nur noch einige Tage hier; sorgen Sie dafür, daß er den Arm wieder geschmeidig mache, denn unter uns gesagt, es ist höchst nothwendig, er muß mit seiner ganzen Bravour wieder anstreten."
Der Diener überbrachte eine Karte.
„Da haben wir ihn ja! Ich wußte, daß er nicht auf sich warten lassen werde! — Gehen Sie zu