1174
Deutsche Noman-Bibliothek.
Gianetti schleppte ihn in München schon vor die Menge, die seiner mit Spannung wartete.
Aber schon am Zweiten Abend sah er dieses Mädchengesicht wieder vor sich in der ersten Reihe des Auditoriums, fast zu seinen Füßen; er sah, wie sie ihm so heimlich und freudig zulächelte; er griff in seiner Aufregung wohl einige falsche Noten, aber Niemand hörte sie, denn mit verdoppelter Fougue riß er seine Zuhörer hin. Ein zärtliches Billet, das er mit einem Lorbeerkranz in seiner Wohnung fand, sagte ihm, sie werde ihm folgen, wohin er gehe; sie bat, ihn sehen zu dürfen, und — er sah sie.
Und noch einmal fand er sie, wie sie ihm gefolgt an die Stätte, wo, wie sie ihm klagte, ihr Flug ihm nach seine Grenze finde. Sie sahen sich heimlich in Berlin und dann endlich überraschte ihn ihr Erscheinen wieder in Wien.
Er mußte sie sprechen an jenem Abend im Ertel'- schen Hause, ihr sagen, was er bis dahin nur anzudeuten gewagt: daß ihre Liebe eine hoffnungslose, daß auch sie vergessen solle; aber sie hatte ihm die Lippen verschlossen; an seiner Schulter ruhend hatten die ihrigen geflüstert: „In wenigen Wochen bin ich Dein, ganz Dein! Frage nicht! Erwarte mich, wo Du auch seiest!"
Was sie in so hoffnungssreudiger Glut ihm gesagt, hatte schon am nächsten Tage durch das Erscheinen des Lieutenant von Oettinghaus eine Erklärung gefunden, die seine Geistesgegenwart verlangte. Er hatte Bettina als die mit Zärtlichkeit umgebene Pflegetochter des vornehmen Mannes kennen gelernt, dessen Enthusiasmus für seine künstlerischen Leistungen er einen großen Theil seiner ersten Erfolge verdankte. Er, ein fahrender junger Virtuose, hatte nicht den Muth gehabt, zu erwarten, daß dieser Mann ihm dereinst die Hand seiner Tochter gewähren werde, und sich dem Gedanken hingegeben, was so schnell und leidenschaftlich in dem Herzen des jungen Mädchens gekeimt, werde vergessen sein, wenn er fern. Der schnelle Wechsel in seinem Leben, neue Eindrücke hier und dort hatten in seinem eigenen Herzen verblassen gemacht, was wohl anfangs dasselbe zu schnelleren und wärmeren Schlägen getrieben; jetzt aber ward er plötzlich vor eine Verantwortung gestellt, vor der er zwar nicht zurückschrak, die ihn aber zwang, ihre Unaufrichtigkeit zu tadeln.
Noch am Morgen des Tages, an welchem Oettinghaus bei ihm erschien, hatte er Bettina unter vier Augen Lebewohl gesagt; kein Wort von ihren Lippen hatte ihm auch bei dieser Gelegenheit verrathen, daß er das Weib eines Andern in seinen Armen halte, als sie unter Thränen von ihm schied.
Als Oettinghaus von ihm gegangen, erschien ihm das brüske Benehmen, mit welchem dieser zu ihm getreten, wie eine Demüthigung; er war im Zweifel, ob er nicht an seiner Ehre gefehlt, als er erklärt, er begehre nie das Weib eines Andern, aber er stehe zur Verfügung, sobald er selbst über seine Person verfügen dürfe.
Er vergab ihr nicht, wenn auch seine Gedanken gern noch bei dem schönen Weibe verweilten; er schwieg auf ihre Briefe; diese sprachen von einem baldigen Wiedersehen für immer. Er hörte aus ihrem
Munde das Bekenntniß dessen, was sie gethan um seinetwillen; und die rührende Hingebung, ihr Glaube an ihn, an ihre gemeinsame Zukunft nahmen ihm den Muth zu dem eigenen Bekenntniß, daß er sich zwinge, sie zu vergessen, daß das Eine, das ihn dennoch an seine schuldige Liebe gemahne, sie trennen müsse, selbst wenn er ihr verzeihe.
Er beschwichtigte sie mit Worten, die er selbst als unwahr erkannte, er verschwieg ihr sogar sein Rencontre mit Oettinghaus. Wenn er fort, sollte sie Alles erfahren und damit sollte Alles vorüber sein. Gianetti drängte ja zur Abreise. Und er selbst durch sein Schweigen war es also gewesen, der ihr den unseligen Gedanken eingab, ihn von Gianetti loszukaufen.
Er hätte ihr jetzt fluchen mögen, aber aus ihren Augen leuchtete eine so himmlische Freude. So thöricht konnte kaum ein Kind im Unverstand das Kostbarste zerstören, wie sie hier aus Eigennutz des Herzens in seine Laufbahn eingegriffen, und nicht das allein war's, sie selbst drückte ihm damit die Waffe gegen ihren Gatten in die Hand. Lieutenant Oettinghaus erwartete ihn sicher in derselben Stunde, in welcher die Nachricht von seiner Trennung von Gianetti bekannt ward.
Für einen Moment auch konnte wohl die Frage in ihm aufsteigen: wußte sie, was Zwischen ihm und Walbeck schwebte und war es ihre Ungeduld, die nach Entscheidung drängte? Aber sie schaute mit so freudeseligen Augen zu ihm auf, sie schien so stolz auf ihre That, sie konnte nur in Treu' und Glauben an dieselbe gehandelt haben.
Er schrieb an Oettinghaus und darnach, das Eintreffen seines Gegners erwartend, mit dem hoch klopfenden Herzen, mit welchem der Mann einem ersten Waffeugang entgegensieht, galt es ihm nur, die Veranlassung des Unvermeidlichen sich aus dem Sinn zu schlagen. Er wollte leben die wenigen Tage — ein Leben, das ihm, der seine Jugend in angestrengtestem Studium verbracht, noch ein Ge- heimniß geblieben. Er konnte keine Schuld mehr auf sich laden, denn er trug, er zahlte sie bereits.
Er fand die beiden Söhne einer aristokratischen Familie, die ihn verehrte, bereit, ihm als Zeugen zu dienen, und jetzt sollten ihm die wenigen Tage bis zur Entscheidung gehören.
Er stürmte hinaus mit Bettina in die schönen Herbsttage, und sie waren glücklich diese kurze Spanne Zeit. Bettina fragte nicht, errieth nicht, was ihn zu dieser Ausgelassenheit trieb; sie sah erfüllt, was ihr Herz ersehnt, denn dieß war ja das Leben ihrer Träume.
Am Abend des dritten Tages kehrte er mit ihr zurück; heiter, wie all' die Stunden, trennte er sich von ihr und erwachte am andern Morgen zeitig mit dem vollen Bewußtsein der Bedeutung des Tages. Mit dankbarem Lächeln empfing er die beiden jungen Männer, die ihn abzuholen kamen, und ohne Groll für seinen Gegner kehrte er aus einem Kampf zurück, der so ohne Erbitterung geführt war. Aber das Licht, in welchem dieser Gegner vor seinem Gedächtniß stand, warf nothwendig seinen Schatten auf Diejenige, die den Einen von ihnen gehaßt, den Andern getäuscht.
Als er am Abend Bettina an seinem Lager erkannte, schloß er die Augen und wandte sich von ihr.