Heft 
(1984) 37
Seite
393
Einzelbild herunterladen

Mann, dem diese Zeilen gelten, ein greifbares Zeichen jener Art jemals erhalten sollte, so gibt es nur Einen Ort, wo es ragen dürfte: Berlin. Fontane ist kein Weltlyriker, dessen Saite ihr Echo findet in jedem belie­bigen von Mensch engemüth beseelten Erden Winkel; er ist der typische Lyriker eines bestimmten Ortes zu einer bestimmten Zeit. Das mag seinen Wirkungskreis bei der Nachtwelt verengen, aber es wird ihn nicht zum todten Punkt erniedrigen; denn es ist gesorgt dafür, daß dieser Ort, wie überhaupt, so im Besonderen gerade im Glanze jener bestimmten Stunde, nicht so leicht vergessen werden wird. Der Geschichtsforscher wird seinen anspruchslosen BandGedichte, der heute zum dritten Male still unter die Menge der lyrischen Adler, Spatzen und Papierdrachen des Weihnachtsmarktes hinaussteuert, dermaleinst wie einen Schatz hervor­suchen, wenn es sich darum handelt, ein Stimmungsbild zu erhalten aus den Jahrzehnten vom ersten Aufblitzen des preußischen Waffenruhms bis zu dem nächtlichen Fackelschein, bei dessen Glühen der todte erste Kaiser in den Dom getragen wurde. Der objective Geschichtsschreiber wird viel­leicht die Thatsachen in mancher Dingen anders anschauen. Die Stimmun­gen, den Glauben der Zeit selbst kann er nicht wegschaffen, er muß sie hinnehmen als etwas Festes, muß froh sein, wenn er sie irgendwo noch mit ihrem ganzen Zauber aufbewahrt findet, und er wird sie finden in den Gedichten von Theodor Fontane.

Das Buch ist nach sachlichen Rubriken geordnet, nicht chronologisch. Das erschwert auf den ersten Anblick die Lectüre. Man sieht wohl, was der Dichter wollte: zuerst, in denLiedern und Sprüchen sollte das Indivi­duelle, der einzelne Mensch, hervortreten, dann in den Balladen und Gelegenheitsgedichten die Zeit als gewaltiger Hintergrund kommen; aber man kann nicht das Erste ohne das Zweite genießen, man kann die Stücke nicht trennen. Drei Motive sind es, die mit ganzer Macht in die Augen springen, sobald man das Werk als Ganzes faßt. Zunächst der Geist des eisernen Jahrzehnts von 61 bis 71. Allerdings sind die Kriegslieder, die Klänge unmittelbar aus den harten Tagen selbst spärlich. Dafür fällt um so mehr Licht auf die Vergangenheit, die Vorgeschichte, die alten preußi­schen Schwerthelden. Und das war ja so: die Flammenzeichen des Neuen erhellten auf einmal fast mehr die Vergangenheit, als das augenblicklich Werdende. Die großen Kriege von 64, 66, 70 erschienen der mitfechtenden Generation fast mehr wie ein Schlußstein denn als ein Anfang. Der Glanz floß zuerst rückwärts, der Anschluß an die alten Waffenthaten schien das Hervorspringendste. Der Dichter spiegelt das treu. Einzelne seiner Lieder dieser Art sind längst geradezu klassisch geworden, wie das allbekannte vom Zieten aus dem Busch. Mitten hinein in dieses Waffenmotiv, dieses Preußenmotiv, mischt sich sofort ein zweites, die engere Rückwirkung des großen Jahrzehnts auf Berlin. Berlin wurde Kaiserstadt, wurde Weltstadt. Der Blick von ganz Europa fiel auf einmal auf die Mark. Die Mark, so hatten die Poeten lange genug gesungen, war eine Sandwüste, öde, un­schön, es schien ein Verhängniß, daß die merkwürdigste Stadt des Jahr­hunderts gerade hier liegen, die neue Krone gerade auf dieses schmucklose Kissen kommen sollte. Auch das fühlt der Dichter, der eben gerade die Waffenthat, die dahin geführt, Berlin groß zu machen, besungen hatte, in erster Linie mit. Aber hier ist er nicht bloß Herold, er erhebt Einspruch, er bessert. Fontane ist unbestritten der Entdecker der landschaftlichen Reize der Mark. Solche Klänge, wie der SangHavelland auf Seite 284, hatte noch keiner gewagt. Ich kann mir nicht versagen, trotz seiner Länge ein Gedicht hier anzuschließen, das Individuelles, persönliche Stimmung des Dichters, wunderbar mit dieser Landschaftsmalerei verknüpft.

393