Heft 
(1984) 37
Seite
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nun wieder lässig behandelt sein und durch böse Inversionen, schlechte Reime oder sonstige auf das Ohr wirkende Fehler sich gewissermaßen negativ bemerkbar machen. In allen diesen Dingen steht Fontane uner­reicht. Seine Balladen sind knapp, bis zum Aeußersten frei von Schwulst und doch gefeilt bis in jede Tiefe hinein, bis auf den Klanggehalt jeder Silbe. Der Band bringt, was wahrlich viel sagen will, sogar eine Reihe von Gelegenheitsgedichten eigentlichster Art, und man kann sie in Folge jener Eigenschaften thatsächlich noch lesen. Es sind gewiß nicht die besten Proben des Ganzen, aber sie fallen durchaus nicht so hoffnungslos ab, wie das Gelegenheitsgedichte meist thun, wenn die Laune des Moments ihnen nicht mehr entgegen kommt.

Fontanes Weltanschauung aus seinen Gedichten heraus zu entwickeln, ist nicht ganz leicht. Auf die Milde, den feinen ironischen Zug in allem Pessimistischen, ist oben hingewiesen. Aber das ist mehr allgemeine Seelen­stimmung, als eigentlich klarer Ausdruck des philosophischen Programms. Wer in dem letzteren allein das Individuelle eines Dichters sucht, der bleibt bei Fontane enttäuscht. Wilde Seelenkämpfe des ringenden Einzel­menschen, den Faustconflikt des Geistes und des Glaubens, des Forscher­drangs und der Tradition findet man nur angedeutet, aber niemals in den Vordergrund gedrängt. Es ist immer und immerzu ein schauender Dichter, der uns entgegentritt, viel seltener ein reflectierender.

Trotz manchem schlimmen Unterfangen,

Ein großes Kind bin ich durchs Leben gegangen,

Ich las das Tollste, die Hauptgeschicht,

Nur immer im Polizeibericht.

Und dieses Tollste von ihm zu lesen,

ist eigentlich auch schon zu viel gewesen . 10

Das niedliche Liedchen übertreibt das Naive ganz gewiß. Aber ein Stück Naivetät dieser Art lebt wirklich in unserem Dichter. Sein Patriotismus hat etwas Naives, nicht minder eine gewisse schlichte Gläubigkeit, die aus den Balladen, den Kriegsliedem spricht. Er nimmt die Züge dieser Art einfach als Maler mit auf in sein Bild, ohne die Begriffe philosophisch abzuwägen, man fühlt gleichsam zwischen den Zeilen das Wort durch: Ich hätte das Andere auch Alles sagen können, denn ich bin ein sehr moderner Kopf aber es gehört einfach nicht hierher. Gottfried Keller hat Aehnliches einmal freundlich ausgedrückt imGrünen Heinrich, wenn er sagt:Alles zu seiner Zeit! Ihre Zeit hat auch die Rose. Wer wird, wenn sie erblüht, um sie herumspringen und rufen: He! Dies ist nichts als Pottasche und einige andere Stoffe, in den Boden damit, auf daß der unsterbliche Stoffwechsel nicht aufgehalten werde! Nein, man sagt: Dies ist zur Zeit eine Rose für uns und nichts Anderes, freuen wir uns ihrer, so lange sie blüht ! 17 Der Mangel an jedem lehrhaften, aufdringlichen, bekehrungswütigen Zuge ist es, der als active Macht diesem Lyriker die Anerkennung bei allen Parteien verschaffen muß und wohl auch verschafft hat. Darin liegt eine große indirecte Lehre für jeden Dichter in dem­selben Sinne, wie bisweilen Schweigen die beredste Sprache ist!

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