Theodor Fontane an Wilhelm Bölsche
Berlin 27. Januar 90 Potsd. Str. 134.C.
Hochgeehrter Herr.
Sehr verspätet erst komme ich dazu, Ihnen für viel Freundliches zu danken; aber es waren heiße Tage und ich habe redlich dazu beigetragen Stephan’s Einnahmen 18 zu steigern und sich bei Bismarck immer angenehmer zu machen. Am meisten Dank weiß ich Ihnen für eine Bemerkung in Rodenbergs „Rundschau“, die ungefähr darauf hinauslief, die ganze Dichterei habe ein gewisses chronikalisches Interesse und man könne die Geschichte unsrer Zeit auf verhältnismäßig wenig Blättern aus dem Buche herauslesen. Gewiß ist es richtig und ich acceptire es dankbarst. Vom alten Wilhelm, von Düppel und Königgrätz, von Bismarck und Kaiser Friedrich und nebenbei auch von Adolf Menzel und ähnlichem erzählt zu haben, — das ist mir das Liebste. Nochmals besten Dank.
In vorzüglicher Ergebenheit
Th. Fontane.
III
Wilhelm Bölsches „Quitt“-Rezension
Einen Hinweis auf Fontanes briefliche Stellungnahme zu Bölsches „Quitt“- Rezension (Teil einer Sammelbesprechung in der „Deutschen Rundschau“ vom Juli 1891) gab neben Bölsches rückblickendem Aufsatz von 1898 auch die Veröffentlichung von Fontanes Brief an Rodenberg vom 2. 7.1891, wo es heißt: „Was W. Bölsche sagt, ist sehr liebenswürdig und sehr fein, und ich entdecke mich auf einer gedanklichen Höhe, von der ich mir nichts hatte träumen lassen. Denn so sorglich ich schreibe, so untendenziös; mein Fleiß gilt nur der künstlerischen Ausgestaltung; außerhalb meiner Kunst liegende Fragen und Probleme kenne ich nicht. Ich habe ihm, unter aufrichtig herzlichem Dank, dies auch ausgesprochen.“ 19
Fontanes Brief selbst macht nun den etwas allergischen, übertreibenden Charakter seiner Abgrenzung noch deutlicher, geht doch gerade auch aus seiner Darstellung der Entstehungsgeschichte des Romans hervor, wie wenig „naiv“ er selbst beim Schreiben vorgegangen war. Daß Bölsche als Kritiker keiner eng aufgefaßten Tendenz das Wort reden wollte, und wie nahe er darin im Grunde Fontane stand, verrät neben seiner Studie über den Lyriker Fontane auch seine wenige Monate später geschriebene Rezension „Gerhart Hauptmanns Webertragödie“ (Freie Bühne, Februar 1892), in der er erklärt: „Ich nenne Tendenz, wenn in einem Kunstwerk ein bestimmter Weg klipp und klar als der alleinseligmachende gepredigt wird, und diese Tendenz halte ich für ein Armutszeugnis des Dichters, das den Wert des Kunstwerks nowendig herabdrückt. Es gehört eben nach meiner Auffassung zur notwendigsten Voraussetzung des ganz echten, großen Poeten, daß er der Welt nicht doktrinär, sondern beobachtend gegenübersteht. Der Beobachter muß einigermaßen immer über alle Parteien erhaben sein. Unser glänzendstes Beispiel in dieser Hinsicht ist Goethe.“ 20
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