Heft 
(1984) 37
Seite
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Neue Romane und Novellen. Besprochen von Wilhelm Bölsche

Weihnachtsgeschichten von Paul Heyse. 1891 Quitt. Roman von Theodor Fontane. 1891

Die schöne Helena. Roman von Alexander Baron von Roberts. 1890 Tino Moralt. Kampf und Ende eines Künstlers von Walter Siegfried. 1890 Bei Mama. Roman von Arne Gaborg. 1890 (...)

Heyse ist von dem Moment an, wo man den Punkt kennt, an dem alle seine Dichtungen im Herzen seiner Weltanschauung verankert sind, ein sehr durchsichtiger Dichter; denn diese Weltanschauung ist goldklarer Trank. Dem sehr unähnlich ist die Sachlage bei Theodor Fontane als Prosadichter. Der RomanQuitt ist gewiß nicht eine Altersarbeit im bösen Sinne. Es ist ein bedeutender, tief anregender Roman, dessen Lektüre unter einen Bann von ganz ungewöhnlicher Stärke bringt. In äußeren Schilderungen, beispielsweise einer so fremdartigen Welt wie der nordamerikanischen Menonitengemeinde, bewährt er eine plastische Kraft auf engstem Raum, für die ich keine Analogie in der gegenwärtig lebenden deutschen Dichter­generation weiß. Und doch gibt der innerste geistige Kern dieses aus­gezeichneten Werkes ein Räthsel auf, schwer wiegend, schwer lastend, das große Räthsel, das man sonst nur über sich fühlt nach dem Studium des Ewig-Fragmentarischen eines wirklichen Menschenlebens.Quitt zer­fällt in zwei scharf gesonderte, schon durch den Schauplatz (Schlesien und Nordamerika) getrennte Hälften. Die erste ist die Einleitung zu einem ungemein spannenden Kriminalroman. Die zweite ist ein Idyll, voll des köstlichen Humors. Auf den letzten Seiten schlägt dieses Idyll dann jäh um zur erschütternden Tragödie; aber der Eindruck des Idylls überbietet dieses Ende so übermächtig, ja durchflicht es mit seinen Wurzeln so vollkommen, daß man unter mildem Sonnenlicht aus der Scene zu wandeln glaubt, anstatt im Gewitter. So Etwas zu schaffen ist allein ein Kunststück, das seines Gleichen sucht. Aber wenn man tiefer geht, so findet man doch, daß die seltsamen Zickzackwege dieser Handlung nur möglich wurden, indem an ein paar Punkten Räthselhaftes als solches stehen blieb. Nicht etwa im Sinne von schlechtem Flickwerk. Nein, Räthsel als Gewolltes. Ich will ver­suchen, das aus dem Stoffe anzudeuten, mehr übrigens, um es als etwas für unseren Dichter Eigenartiges zu zeigen, als um es zu tadeln. Der Roman beginnt mit einem Mord. Ein junger Mensch, dessen einzige Sünde ein bischen Wildern ist, soll zum zweiten Male deswegen bestraft werden. Er weiß, daß der Förster ihn leicht hätte übersehen können, daß er ihn bloß aus Bosheit anzeigt. Da erschießt er den Förster, wie er sich in seiner kurzen Logik denkt, zu einem regelrechten Gottesurtheil; er läßt ihm den ersten Schuß, und als der versagt, schießt er ihn über den Haufen. Diese Geschichte ist mit einer wunderbaren Kraft erzählt, mit einer Schlichtheit, die stellenweise über Raskolnikow hinausgeht. Der Held reflectirt wenig, er handelt. Und der Dichter reflectirt gar nicht. Das ist aber nur der erste Theil: dieSchuld im Sinne Dostojewskis. Wie steht es mit derSühne ?

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