danken. Ich komme alles in allem sehr gut weg, schon dadurch, daß Sie das Ganze durch einen mir supponierten Grundgedanken auf eine höhere Stufe heben. Das mit dem „Mitleid“ ist sehr fein und leuchtet mir ein, aber ich bin unschuldig daran. Vielleicht sollte ich schreiben „leider unschuldig daran“; ich bin aber doch schließlich in Zweifel ob das „leider“ richtig wäre. Tendenzen haben, einem schönen Gedanken zum Siege verhelfen wollen, das ist eine prächtige Sache, aber das Naive geht doch vielleicht noch drüber. Ich will immer nur einen Hergang erzählen oder einen Menschen schildern, — das Andre läuft blos mit drunter. In Krummhübel, hart unterm Kamm des Gebirges, steht ein Denkstein, wo Lehnert den Opitz niederschoß. Dieser Stein machte einen großen Eindruck auf mich; trotzdem ruhte der Stoff jahrelang in mir, weil ich immer nur erfuhr: „Lehnert sei in Amerika verschollen.“ Das war zu wenig. Das las ich eines Tages die Berichte Lindaus 21 über seine erste Reise durch Amerika (beiläufig das Reizendste was er geschrieben hat) und fand darin 4 Zeilen über ein Menonitendorf. Da stand es mir mit einem Male fest, wie die Geschichte verlaufen müsse und ich schrieb drauf los, in Krummhübel selbst, in einer von Geisblatt überwachsenen Baude. — Sie sind ein so famoser Kritiker; könnten Sie nicht, vorausgesetzt daß es Ihnen nicht prinzipiell widerstreitet, das Ihrige dazu beitragen, daß man wieder anfängt, erzählte Geschichten einfach als solche zu nehmen, anstatt ihren Werth oder Unwerth nach einer größeren oder geringeren „Zeitgemäßheit“ zu bestimmen. Wer tendenziös schreibt, muß danach auch ausgemessen werden, aber die armen „Stillen im Lande!“ Ihre freundliche Gesinnung wird mir diese Bemerkungen zu gute halten. Nochmals besten Dank. In vorzüglichster Ergebenheit
Th. Fontane.
IV
Die Rezension der „Kölnischen Zeitung“ zu „Unwiederbringlich“
Eine Autorschaft Wilhelm Bölsches an dieser am 6. 12. 1891 (2. Beilage zur Sonntagsausgabe) erschienenen Rezension ist unwahrscheinlich; nicht nur wegen ihrer schöngeistigen Konvention nahen Stillage, sondern auch wegen ihrer ausdrücklichen, bei einem Autor seiner Generation und literarischen Stellung kaum anzunehmenden Wendung gegen Ibsen und die junge Literatur in Deutschland. Daß Fontanes Kenntnis der Kölner Herkunft Bölsches bei der Zuschreibung eine Rolle gespielt haben könnte, ist nicht auszuschließen.
Kölnische Zeitung, 6. 12. 1891 (Zweite Beilage zur Sonntagsausgabe)
Ein neuer Roman von Theodor Fontane
Im Verlag von Wilhelm Hertz hat Theodor Fontane einen neuen Roman „Unwiederbringlich“ erscheinen lassen. Das ist ein ganz köstliches Buch, so etwas wie eine literarische Whitestable-Auster. Es gibt Leute, die sich aus Austern nichts machen, viele, die in Verlegenheit sind, wie sie sich beim Essen verhalten sollen, und wieder viele, die eine Auster mit der
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