Gabel zerstechen wie ein Stück Pferdefleisch. Wer aber mit dem Leckerbissen umgehen kann, der schlürft ihn mit wohlbedachtem Hochgenuß. So wird auch Fontanes Buch nicht überall Entzücken erwecken, vielmehr da und dort auf Achselzucken, ja gar auf absprechendes Urteil stoßen. Mit feinfühligster Menschenkenntnis geschrieben, wendet er sich an Menschen, die es gelernt haben, fein zu empfinden, die empfänglich sind für die zartesten Wendungen des menschlichen Lebens. Dabei darf man nichts Weichliches, nichts süßlich Empfindendes erwarten. Es ist durch und durch ein realistisches Buch und zugleich ein durch und durch deutsches Buch, besonders ein norddeutsches. Die Empfindungszartheit begleitet ein leiser, herber Duft, die spröde Verschlossenheit vereint sich mit den feinsten Seelenschwingungen, und die Wahrhaftigkeit des Dichters stellt uns vor den Gegensatz frivol und mit der Sünde spielender und nur allzu tiefgründiger Lebensanschauung mit dem entschlossenen Mute, der nicht nach einer sogenannten dichterischen Sühne ausschaut, sondern nur unerbittliche Notwendigkeiten kennt, die weniger aus den Begriffen von Gut und Böse als aus natürlichen Bedingungen der menschlichen Empfindung hervorgehen. Wie auch in andern Schriften Fontanes sehen wir in diesem Roman die Anschauungen des gereiften Lebenskenners, der nicht unmittelbar moralisiert, auch keine Anklage gegen die Weltordnung schwindet (sic!), sondern das bitterste Unheil aus entschuldbarem Irrtum, ja hier und da aus falscher Anwendung des Guten hervorgehen sieht, dem das Gute und Böse relative Begriffe sind und der als der Übel schlimmstes die unausweichbaren Torheiten, Schwächen, Fehler erkennt, denen jeder Mensch unterworfen ist und die den Keim der Katastrophe in sich tragen, sofern nur die äußeren Bedingungen den Keim zur Entwicklung bringen. Aber Fontane arbeitet deshalb nicht mit Pessimismus, er schildert nicht grau in grau. „Sei klug, sei auf deiner Hut!“ Das ists, was er mit bedauerlichem Achselzucken, eine traurige Geschichte erzählend, uns sagt. Leise, mit ruhigem Tonfall erzählt er, scheinbar schmucklos, aber seine gelassen dahinfließende Rede ist mit feinen Spitzen zartester Wendungen übersät. Da wird nur mit einem bezeichnenden Wörtchen, mit einem kleinen Satze, den ein flüchtiger Leser übersehen kann, ein Charakter wie mit einem scharfen Schlaglicht beleuchtet, daß wir ohne weiteres die Gestalt von nun ab sicher zu beurteilen wissen; dort huscht ein oder das andere Mal der Kobold der Sinnlichkeit hindurch, rasch verschwindend, nur einen kleinen Duft zurücklassend. Wie in den meisten seiner Schriften sind es Frauengestalten, welche die Führung haben. Er braucht aber nicht das naturwissenschaftliche Rüstzeug der Jungen dazu, um das Weib in der Tiefe seines Wesens zu fassen. Seine weiblichen Gestalten sind von so krystallklarer Anschaulichkeit und Lebensechtheit, dabei so wenig schablonenhaft, daß unsern allermodemsten Genies an diesem Beispiel klar werden könnte, was es heißt, nach dem Leben gestalten, echte Weibesnaturen bilden im Gegensatz zu Schreibtischarbeit nach schiefen Theorien. Vor allem können sie lernen, wie ein deutscher Schriftsteller aus deutschen Anschauungen heraus arbeitet, statt skandinavische Erscheinungen kurzweg in deutscher Sprache nachzuäffen. Bezeichnenderweise ragt der Roman nach Skandinavien, nach Kopenhagen, hinüber. (...)
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