Die Melancholie dieser Geschichte wirkt nachdenklich, aber doch nicht bitter im pessimistischen Sinne. Sie enthält eine der feinsten Lebenswahrheiten, die allerdings nur in gewissen Lebenskreisen in Wahrheit treten kann. Diese arme Gräfin, die der Dichter so echt dem norddeutschen protestantischem Adel entnimmt, verliert mit ihrem Übermaß der Tugend das eigene Glück, der leichtlebige Graf beschwört die Tragödie herauf, weil er in einem gegebenen Augenblick zu — deutsch ehrenhaft denkt, und die elastische Frivolität der Baronin Rosenberg bringt sich in bequeme Sicherheit. Das ist die mit Ironie durchsetzte Logik des ewigen Widerspruchs zwischen Sittlichkeit und Sitte, zwischen Charakter und Ver-' Standesklugheit, zwischen gemütvollem und geistreichem Wesen. Es ist die melancholische Ironie auf die banale Weisheit, daß das Gute immer siegen müsse, die tragische Weltanschauung, die, über gut und böse hinausgreifend, das Glück der Menschen von den feinsten Schwingungen der Seele, von kleinsten Ursachen abhängig macht, indem gut und böse nur relative Begriffe sind. Mehrmals, wenn wir im Behagen über die köstlichen Wendungen in der Lektüre innehalten, schaute uns der weißmähnige Kopf Henrik Ibsens im Geiste entgegen. Das ist der Gott der deutschen Jugend, derselbe Mann, der nicht eine einzige dem deutschen Gemüte unmittelbar zugänglichen Gestalt geschaffen hat, der uns merkwürdige Gespenster aus unbekanntem Lande heraufbeschwört! Und Fontane? Man macht aus ihm einen sehr geistreichen alten Herrn, weiter nichts.
Theodor Fontane an Wilhelm Bölsche
Berlin 9. Dezbr. 91. Potsd. Str. 134.C.
Hochgeehrter Herr.
Die heutige Morgenpost brachte mir unter Kreuzband die Kölnische Zeitung und in ihr eine schmeichelhafte, mir also höchst erquickliche Besprechung meines neusten Romans.
Ich habe auf Sie gerathen und bedanke mich, meinem Sentiment folgend, aufs herzlichste bei Ihnen. Wenn ich aber damit in die Irre geherf sollte, so bitte ich Sie den Satz gelten zu lassen, daß ein wegen falscher Adres- sirung unacceptabler Dank, mir immer noch eine bessere Situation schafft, als ein unterlassener. *
In vorzüglicher Ergebenheit
Th. Fontane.
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Wilhelm Bölsches Aufsatz „Vom alten Fontane“ (1898/1901)
Wenige Wochen nach Fontanes Tod veröffentlichte Bölsche in den „Sozialistischen Monatsheften“ (Oktober 1898) einen sehr persönlich gehaltenen, als Sammlung von Aphorismen vorgestellten Gedenkaufsatz: „Theodor Fontane. Aphorismen von Wilhelm Bölsche (Friedrichshagen)“. Diesen Text hat er drei Jahre später unter dem Titel „Vom alten Fontane“ in seine
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