Alltäglichkeit, von der Qual der Resignation, dem armseligen Trost, aber auch dem kleinen lieben Glück des kleinen Einzelnen, der als geschobener, windgestoßener Schilfhalm in der ungeheuren Masse treibt.
Die Züge dieser Landschaft hätte er dir dichtend in zwölf Zweizeiler gebracht, Ding für Ding, Farbe zu Farbe (diese fast immer gleichen, nur so ganz zart verschiedenen Farben) einfach aneinander reihen beinah wie zu einem trockenen Inventar und doch zuletzt so, daß in dem Kunstwerk dieser Wald und dieses Fließ und dieser Kartoffelacker dir wie ein unendlich feines, seelenvolles Kunstwerk vor die Augen traten ...
Wie die Meisten der mitwachsenden Generation habe ich Fontanes Namen zuerst auf der Schule kennen gelernt. Vor den Versen von Zieten dem Husarengeneral, im Lesebuch, Fontane schien mir als einer der ganz Alten, wie der alte Arndt oder der alte Jahn.
Es kam mir wie etwas Unglaubliches vor, daß der Mann, der das gedichtet, noch leben sollte: er mußte hundert Jahre alt sein.
Aber er lebte und ich merkte es noch als ganz junger grüner Kerl. Die blutigen Kriege 64, 66, 70 waren vorübergedonnert. Über diese Kriege gab es mehrere dicke populäre Bände in rosenroten Umschlägen, überaus anschaulich dargestellt, aber inhaltlich ganz im hergebrachten Jargon. Als Verfasser zeichnete derselbe Theodor Fontane. Ich bin in einem Hause aufgewachsen, wo in treuem Glauben mit diesen drei Kriegen eine Art Kultus getrieben wurde. Schilderungen dieser Kriege wurden da gelesen und zu lesen gegeben wie ein Evangelium. Eine in jedem Betracht vollkommene, in edelstem Geistesgenuß frei und sorglos lebende Nation war von abscheulichen Nachbarvölkern unerhört provoziert worden, bis sie endlich zum Schwert griff und als stolze Siegfriedlichtgestalt sich Recht und Ruhe schaffte, auch im Dreinschlagen immer noch ein lichter Heros und selbstverständlich unbesiegbar. An diesem Gedanken erbaute man sich und man glaubte auf Jahrhunderte hinaus damit alle Konflikte nach außen und innen beseitigt. Mir verkörperte sich das alles in Fontane.
Wie ich dann aber selber stärker ins Leben hineinwuchs, ging der Goldschein des absolut Erfüllten und Vollkommenen in Vergangenheit und Gegenwart naturgemäß auf ein bescheidenes Maß herunter. Der Glaube, daß die moderne preußische Geschichte das reine Heldengedicht sei; daß mit Kanonendonner der wahre Kulturfortschritt geschaffen werde; daß äußere Waffenerfolge im Inneren die tiefe soziale Verworrenheit irgendwie ändern und bessern könnten: all der gute Glaube hielt vor der Wirklichkeit nicht stand.
In solcher veränderten Stimmung erschien mir gerade Fontane in der Erinnerung als der Typus jener Einseitigkeit, als der Typus des Soldaten im Gloire-Kampf, der sonst nichts sah und im eigenen Volke von einer gewissen künstlichen Lichtecke an abwärts vollkommen blind stand. Ich fühlte schlechterdings garkein Band mehr zu ihm.
Dann kam ich in Berlin in seine wirkliche Nähe. Das gab nun noch ein ganz neues Bild. Weder ein alter Arndt ging da eisgrau um, noch ein schneidiger Militär von heute, der die Welt bloß mit seinem großen Degen
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