die Poesielosigkeit, die sich hier in der Anschauung der Dinge ebenso seit Jahrhunderten faustdick vor die Dinge selbst gepflanzt hat. Fontane in seinen märkischen Wanderungen gab hier eine große Hilfe, lange Zeit geradezu die einzige, die existierte. Er konnte als Brücke gelten für eine poetische Auffassung der märkischen Landschaft. Ein starker Poet steckte in diesen Wanderskizzen und dabei gerade der, den diese Landschaft brauchte. Kein ganz Einheimischer, der in jener grauen Nüchtemheitswolke von Anfang an erstickte. Und auch kein ganz Fremder, der falsche Lieder von außen hinein trug.
Fontane war geborener Märker, Neu-Ruppiner, aus der Bilderbogenstadt. Aber die Familie hatte französisches Blut in den Adern: das Tröpfchen Voltaire, das der altechte Märker gerade nicht hat. In seinem ganzen Wesen war Fontane ein Kind jenes Mischreiches zwischen zwei Nationen, das nie auf der Karte, sondern nur ab und zu in einzelnen Gehirnen bestanden hat und dessen größter Vertreter Chamisso ist. Das Einleben in die Marklandschaft wurde mir so zugleich ein Einleben in eine unschätzbare Seite Fontanes. Von hier habe ich den Dichter zum ersten Mal bewußt, nicht im Sinne von Lesebuchversen, in ihm kennen gelernt.
Mein Blick ging dann aber auch über die Wanderbilder hinweg zu seinen wirklichen alten Gedichten zurück und so überhaupt zu seiner Lyrik, die seit Jahren in einem einzigen schlichten Bande (nur einem!) vorlag. Ohne selber zu gewissen „patriotischen“ Idealen zurückzukehren, begriff ich jetzt erst, aus der Landschaft, die er mich sehen gelernt hatte, auch den Geist seiner Balladen bis in das Legendarische hinein. Im hellen Lichte geschichtlicher Kritik waren solche Sachen schwach und hilflos. Aber am Fleck verstand man sie, wie man die Rheinsagen am Rhein versteht, und man fühlte, wie der Dichter als solcher den Nerv getroffen hatte, der am Ort in Jedem mitklingt, ob er nun Legende oder Geschichte hört, ob er das wahre Wappen sieht oder den grünen Epheupelz, der in der Luft des Ortes darüber gewachsen ist. Und er hat ja nicht bloß Legenden gedichtet. Besonders in den späteren Auflagen der gesammelten Gedichte kam Perle um Perle aus der Tiefe des Menschen, Persönliches, Stimmungsblätter des eigenen Lebens. Dieses Leben war aber, einen kurzen Abstecher nach England für sich gerechnet, in derselben Mark hingegangen. Also auch hier märkische Landschaft, Kiefernwald, rote Ampferblüten, Sandplateaus, über die der Wind rollt. In solcher Landschaft schlummerten die Gräber seiner Lieben, die kleinen Tragödien seines Lebens, das nicht immer so glatt verlaufen war, wie es nach Außen schien, in dem aber alles dichterischrein war und menschlich echt. Und in ihr wurzelten alle die ernsten und lustigen Gestalten seiner Phantasie, wie der Gutsherr, der sich mit einer Birne in der Tasche begraben ließ, damit aus seiner Gruft ein freundlicher Baum für die Schulbuben und kleinen Mädchen wüchse, um nur einen zu nennen — es sind so viel andere.
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So, nachdem ich mir den Dichter in ihm einmal herzhaft von Innen heraus für mich erobert hatte, dünkte mir freilich doppelt schade, daß diese prächtige, eigenwüchsige Dichterindividualität versauern sollte oder wohl schon versauert wäre im dummen Rezensionenschreiben, das jeder andere auch
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