Heft 
(1984) 37
Seite
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Es ist ein preußischer Geschichtsroman, man muß etwas Legende abziehen. Aber dabei ein wundervolles Buch. Sicherlich einer der besten historischen Romane, die wir besitzen. Ohne rechten Schluß, wie eine alte Chronik, über die hinaus die Weltgeschichte ohne Ende rauscht. Aber in seinem Rahmen von wahrhaft brennendem Leben. Bezeichnend genug, daß dieses Buch beim deutschen Publikum von damals nicht durchschlug. Wahrschein­lich hätte er viele Bände so weiterschreiben können, ohne daß die Masse es beachtet hätte. Inmitten aller patriotischen Phrase war das viel zu schwere, zu echte Kost, obwohl es selber auf extrem patriotischen Tendenzen stand. Vielleicht ist Fontane selbst durch den geringen Erfolg, der sein großes Buch wie einen Dutzendroman wertete und nach ein bischenAchtung glatt abfallen ließ, zurückgehalten worden, mehr in diesem historischen Ton zu dichten. Sehr schade darum. Er hätte all das Beste der märkischen Wanderungen uns mit der Zeit wohl noch in schönste gestaltende Dichtung umgießen können.

Schließlich muß man sich dabei trösten, daß er wenigstens der Tendenz­gefahr mehr entging, als er von der Mitte der achtziger Jahre ab sich fast ausschließlich auf den modernen Roman warf. Nun kam eine ganze Kette guter Sachen, die allmählich auch wirklich Erfolg hatten.

Während uns heute so viel gute Kerle in der Romanschreiberei mit sechzig oder siebzig Jahren hinsterben, deren Ruf auch genau auf dem Absterbe­termin steht und eigentlich nur noch den Tod der Person erwartet, um ganz stockfinster auszulöschen, war der alte Fontane an der Schwelle des achtzigsten Lebensjahres glücklich auf dem Fleck, daß Zeitungen und Ver­leger auf ihn aufmerksam wurden als eine buchhändlerisch aufsteigende junge Kraft, mit der man noch viel Geld zu verdienen hoffte. Er wurde Mode! Fontanes Schreibweise war immer schlicht gewesen, echte Kunst ohne Bombast. Das Alter that nun ungewollt noch etwas hinzu: es gab der Schlichte immer mehr Reife, aber auch ab und zu einen Stich bis ins Nüch­terne. Das fand man jetztnaturalistisch im Sinne eines Modeschlag­wortes, und im letzten Jahrzehnt seines Lebens ist Fontane allmählich in der Litteraturschablone unter die strengen Naturalisten gerückt, also selber bei den Ibsen und Hauptmann eingereiht worden, die er als Kritiker so vorurteilslos zu würdigen verstanden hatte.

Auf diese wechselnden Modeetikette kommt es nun im Grunde verzweifelt wenig an. Ihm ist wohl im Herzen auch nichts darauf angekommen, obwohl ihm der zeitliche Erfolg natürlich als solcher noch Freude gemacht hat. Was aber wirklich interessant bei diesen späten Romanen ist, ist nun doch wieder die Tendenzfrage.

Fontanes politische, moralische und überhauptweltanschauliche Ten­denzen und Neigungen sind offenbar bis zuletzt immer dieselben geblieben. Und doch hat er sich mit diesen modernen Romanen weit über jenes blinde Modepublikum hinaus auch einen festen Stamm Verehrer in Kreisen geschaffen, die diesen seinen eigenen Tendenzen sehr fern standen. Ich kann hier wieder von mir selbst reden; ich kenne aber auch eine ganze Menge Leute, die in ihren Anschauungen extremer und über Anders­gläubige jedenfalls sehr viel intoleranter denken als ich, und die doch

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