Heft 
(1984) 37
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für den Fontane etwa der Effi Briest ganz ausgesprochen schwärmen. Fontane hatte eben zwei Eigenschaften, und die kamen in diesen letzten Büchern immer glänzender heraus.

Einmal: er war zu sehr ästhetische Vollnatur, um in den Fehler grober äußerer Tendenzmacherei, die der Dichtung wie ein Zettel aufgeklebt wurde, zu verfallen. Seine Personen reden keine Leitartikel, der Autor trat nicht aus der Kulisse und hielt Wahlreden oder moralische Predigten. Alles was er gab, lebte in der Dichtung selbst und nur in ihr.

Gerade in dieser Dichtung aber offenbart sich das Zweite, was ich meine. Als reiner Dichter war Fontane in gewissem Sinne größer als er selbst.

Sein schönes Beobachterauge, seine gerade, ehrliche Phantasieplastik waren in einer Weise, als lebten sie selbständig, in ihm selbst stärker, freier, unabhängiger als der reflektierende, vom Leben in bestimmte Formeln des Denkens, der Moral, des politischen Glaubens hinein erzogene und bewußt sich hier fühlende Mensch, der alsFontane unter uns umging.

Ich glaube, ich bin selbst einmal persönlich bei ihm gegen diesen leisen, aber eigentlich gerade so fruchtbaren Widerspruch angerannt. Ich hatte seinen RomanQuittirgendwo öffentlich besprochen. Hatte gesagt, was ich nach einer gewissen ethischen Seite echt modern herausgelesen zu haben glaubte. Und hatte das so Empfundene äußerst warm gelobt. Man schrieb nun zu seinen Lebzeiten nicht leicht über Fontane im guten Sinne, ohne von ihm einen seiner liebenswürdigen Briefe fast postwendend zu erhalten, reizend individuelle Briefe, in seiner drollig verschnörkelten Schrift, in der ich immer noch ein Schwänzchen des alten Apothekers, vielleicht das einzige bei ihm, zu sehen meine. Diesmal gab er mir, obwohl freundlichst umhüllt, ein kleines Tadelsvotum. Ich hätte Sachen aus seinem Buche herausgelesen, von denen er selber der Absicht nach durchaus nichts wüßte, und wenn ich diese Sachen lobte, so müsse er leider bestreiten, daß sie überhaupt darin ständen. Ich antwortete ihm, daß er in einigem viel­leicht recht hätte, daß ich mich im ganzen aber auf den guten Spruch aus VischersAuch Einer 23 beriefe:Ein Dichter ist immer gescheiter, als er selbst, freilich aber auch dümmer, als er selbst. (Im RomanAuch Einer Band II, S. 297.) Wenn ich recht berichtet bin, so hat er das, obwohl es etwas derb war, nicht mißverstanden und gut aufgenommen.

Vischer, der alte derbe Vischer, der in der Theorie oft so dick daneben schlug, in einem gewissen Stamm gesunder ästhetischer Erfahrungen aber kaum zu übertreffen war, hatte mit dem unverfrorenen Satz wohl sagen wollen, es müsse in jedem Dichter noch etwas stecken, was über seine eigene Selbsterkenntnis hinausgehe, was intuitiv größer sei als seine eigene Reflexion und vor dem diese eigene Reflexion selber dumm stände.

Ich meine heute noch, daß das geradezu prägnant auf den ganzen Fontane trifft.

Ein Roman etwa wieEffi Briest ist mir ein moderner Sozialroman im höchsten Sinne; für den richtig Sehenden schildert er vernichtend geradezu den Fluch der Philisterenge, den inneren Zusammensturz gewisser ober-

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